Sendereihe: "Macht und Menschenrechte" ( Unser Politikblog TV) November - dann in anderem Format

Sonntag, 13. Februar 2011

Neue Republik Ägypten auf dem Weg in die Verfassungs-Demokratie

Von Daniel Neun | 13.Februar 2011 Radio Utopie


Der Oberste Militärrat löst nur Minuten nach einem geschwätzigen Auftritt von Mubaraks altem Premier Ahmed Shafiq beide Kammern des ägyptischen Parlamentes auf, setzt Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten an und die am 11.September 1971 beschlossene Verfassung der Mubarak-Diktatur außer Kraft (1). Er kommt damit Forderungen der Jugendgruppen-Koalition der Freiheits- und Demokratiebewegung nach, welche diese bereits am 10.Februar an das zu diesem Zeitpunkt noch regierende Mubarak-Regime erhoben hatte. Das Wort “Übergangsverfassung” taucht derzeit in keinem Presseartikel auf. Auch das wird sich ändern, wenn die Industrie- und Staats-Journaille wieder einmal langsam hinterher dackelt.


Mit seinem Kommunique Nr.5 macht der Militärrat zudem klar, wer im Staatsapparat das Sagen hat – nicht die alten Mubarak-Minister und nicht Mubaraks Premier Shafiq. Sahafiq darf bis zur Bildung einer neuen Regierung noch so tun, als würde er selbst einer vorsitzen. Eine kleine Hommage an Bewunderer von Fassaden.
Dass das Militär bereits am Sonntag nur zwei Nächte nach dem Rücktritt des Diktators, unbedingt den Straßenverkehr wieder über den Platz rollen lassen musste, war ungeschickt. Es sollte, genauso wie die Freiheits- und Demokratiebewegung, nach dem Diktator Husni Mubarak nichts mehr überstürzen. Die kleineren Reibereien am Tahrir Platz am heutigen Sonntag, soweit bekannt ohne Festnahmen und Verletzte (2), sind angesichts der Millionen Menschen die hier in Bewegung waren überschaubere Reibungsverluste der fundamentalen Veränderung einer zentralen Gesellschaft zwischen Asien und Afrika. Man darf sich wieder streiten; auch das wird nun dazu gehören.

Daß die alte Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, ist reine Formsache. Spätestens mit dem Eingreifen des Militärs – auch gegen ein sich anbahnendes Blutbad zwischen Armee einerseits, sowie der Präsidentengarde Mubaraks, den Einheiten des Innenministeriums und den Agenten von Vize-Präsident Omar Suleiman andererseits – war die alte Verfassung der Diktatur irrelevant geworden. Aus einem Volksaufstand war eine Freiheitsbewegung und aus dieser in der Tat eine Revolution hervorgegangen. Eine Übergangsverfassung wird die Abhaltung der freien und fairen Wahlen garantieren, die neue Verfassung in ungefähr einem Jahr durch eine Art Nationalversammlung beschlossen werden.
Fazit: alles Bestens. die Neue Republik Ägypten ist auf dem Weg in die Verfassungs-Demokratie.
Ergänzung 18.00 Uhr
Der Militärrat hat die Abgabe im Kontext der Neuwahlen in spätestens sechs Monaten auch eine Abgabe der Macht angekündigt. Das ist uneingeschränkt positiv zu bewerten. Nur zur Erinnerung: noch am 6.Februar, Tag 13 im Volksaufstand, hatte der sogenannte “Oppositionelle” Mohammed El Baradei (im Chor mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und US-Aussenministerin Hillary Clinton auf der Münchner “Sicherheitskonferenz) Neuwahlen erst in einem Jahr gefordert. Dieser “Oppositionelle” El Baradei wird sogar vom Militär demokratisch überholt. Es ist zu hoffen, dass auch diesem durch die Revolution aufgeflogenen Heuchler nur noch der Müllhaufen der Geschichte bleibt.
Weitere Verlautbarung des Kommuniques: die neue Verfassung wird durch ein (neues) Verfassungs-Komitee entworfen und muss sich dann einer Volksabstimmung stellen. Einer Volksabstimmung. Da könnte man doch vor Neid erblassen, im Goldenen Westen.
Was noch fehlt, ist die Aufhebung des Ausnahmezustands. Aber nach einer Revolution des Volkes gegen so ziemlich jede Macht der Welt (oder die sich dafür hält), kann man sich damit auch noch eine Woche Zeit lassen.
Zuletzt noch eine kleine Bemerkung: Jeder, der jetzt immer noch von “Chaos” redet – gern auch im hehren, gerechten, reichen, urdemokratischen Italien, verursacht durch heimtückische Massenfluchten tunesischer Revolutionsmigranten in die Inselpfarrei von Lampedusa (3) – outet sich selbst als Prediger und Nutznießer offener und verdeckter Diktaturen. Er oder sie nimmt uns dadurch die Arbeit ab. Recht herzlichen Dank. Weiter so, Kollegen. Man sieht und liest sich immer wieder. Das hört jetzt nie mehr auf. Und es wird jeden Tag besser.
Quellen:
(1) http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/02/2011213132610927713.html
(2) http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/02/201121322143201645.html
(3) http://www.tagesschau.de/ausland/lampedusa192.html

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