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Donnerstag, 23. Juni 2011

ESM-Vertragsentwurf ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt – ein Fall mehr für Wikileaks ?

23. Juni.2011 | Unser Politikblog


Auf den offiziellen Seiten von Regierung und Parlament in Deutschland ist er immer noch nicht zu finden, von denen der Europäischen Union ganz zu schweigen – und das, obwohl der Europäische Rat heute, am 23.06.2011, auf seinem seinem Gipfel zum 23./24.06. 2011 diesen angenommen hat. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) scheut das Licht der Öffentlichkeit. Aus gutem Grund, denn er würde über die Eurozone ein dunkles Zeitalter der Entmachtung von Volk und Parlamenten bringen.

Gott sei Dank haben wir den lichtscheuen Vertragsentwurf am 10.06.2011 in den Tiefen des Internets gefunden, z. B. auf den Nachdenkseiten.
Und seit nun knapp zwei Wochen befindet er sich auch auf unserer Seite Bürgerrechte Menschenrechte.

Schaut man sich den Link auf den Nachdenkseiten genau an, dann entdeckt man dort das Datum 20.05.2011. An dem Tag fand ein EU-Gipfeltreffen statt. In den offiziellen Schlussfolgerungen (eine Art Ergebnisprotokoll für die Öffentlichkeit zu den EU-Gipfeltreffen) sucht man jedoch vergebens nach der Aussage, dass dort der ESM-Vertragsentwurf vorgestellt worden sei. Und doch dürfte es so gewesen sein. Denn auf dem Gipfel vom 24./25.03.2011 einigten sich die Regierungschefs der EU auf die „Merkmale des künftigen Mechanismus“, also was der ESM-Vertrag beinhalten sollte, und veröffentlichten diese auch.
Aus dem Artikel „Die Zukunft der Europäischen Währungsunion – 16 Fragen und Antworten“ auf der Webseite des deutschen Bundesfinanzministeriums erfahren wir, dass auf EU-Ebene über den ESM-Vertrag Ende Juni 2011 beschlossen werden solle (also offensichtlich auf dem Gipfel am 23.+24.06.2011). Aber selbst am 23.06.2011, am Tag der Beschlussfassung durch den Europäischen Rat, verdeckt die inzwischen auf der Webseite des Europäischen Rats veröffentlichte Tagesordnung mehr, als sie transparent macht.

Denn zu den wichtigsten Punkten incl. des ESM werden nur Aktenzeichen genannt von Dokumenten, welche bei Eingabe der jeweiligen Aktenzeichen in die Internetsuchmaschinen aber nirgendwo zu finden sind. Und das, obwohl offensichtlich der ESM auf der Tagesordnung gestanden hat, sich also hinter einem der genannten Aktenzeichen verborgen hat, denn heute schon hat die österreichische Zeitung Der Standard den Beschluss des ESM verkündet!

Zu einer Demokratie gehört ein erhebliches Maß an diskursiver Entfaltung in der Öffentlichkeit, bevor weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Das findet sich im Lissabonurteil bzgl. der Auslegung des unantastbaren (Rn. 216 Lissabonurteil) Demokratieprinzips und im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte (Leitsatz 3). Aber auch aus Sicht der EU ist die Transparenz aller Organe der EU in Art. 15 Abs. 3 AEUV und in Art. 42 EU-Grundrechtecharta normiert; dem wird die Heimlichtuerei um den heutigen Beschluss über den ESM in keiner Weise gerecht. Art. 42 EU-Grundrechtecharta normiert ausdrücklich das Recht auf den Zugang zu allen EU-Dokumenten, soweit dies im EU-Recht nicht ausdrücklich untersagt ist. 

Hat der Europäische Rat Angst vor den Völkern Europas ? Die in Spanien, Griechenland, Frankreich, Irland, Portugal und inzwischen sogar in dem als fernsehsüchtig geltenden Deutschland in immer größeren Zahlen auf die Straße gehen? In so großen Zahlen und so großer wahrnehmungsmäßiger Präsenz und zugleich einer solchen Kombination aus gandhihafter Friedfertigkeit und unbeugsamem Willen zum Recht, dass selbst Agents Provocateurs reihenweise aus der Menge herausgegriffen und der Polizei überstellt werden, und sich schon namhafte Polizeigewerkschafter ausdrücklich weigern, zur Unterdrückung des eigenen Volkes mißbraucht zu werden? Wird ihnen allmählich bewusst, dass die Bilderberger, das Weltwirtschaftsforum,und wie sie alle heißen, gar nicht der Souverän sind, sondern das Volk? In Deutschland gibt es auch den Reihen des Volkes sogar schon einen fertigen Gesetzentwurf, um den überforderten Parlamentariern durch Volksabstimmungen beizustehen.


Der ESM ist ein dauerhafter Krisenmechanismus für immer mehr verdeckte Bankenrettung und immer mehr politische Auflagen gegenüber den Staaten der Eurozone, welche sich in Zahlungsschwierigkeiten befinden. Immer zu Lasten der Macht des Volkes und der nationalen Parlamente.

Dabei wurde der ESM auf die Vorschriften zur EU-Wirtschaftsregierung abgestimmt, worüber vor allem die EU-Kommission den Staaten bußgeldbewehrte Auflagen für Privatisierung und Sozialabbau machen will und den Stabilitäts- und Wachstumspakt und wirtschaftliche Ungleichgewichte dafür nur zum Anlass nehmen würde. Außerdem will man den ESM nutzen, um die Versprechungen der Regierungschefs im Rahmen des Euro-Plus-Paktes und die Strategie Europa 2020 (incl. der die wichtigsten Arbeitnehmerrechte schleifenden „Flexicurity“) durchzusetzen. Die Kreditauflagen für die Notfallkredite im Rahmen des ESM müssten kompatibel sein mit den o. g. Auflagen der Kommission, Euro-Plus-Pakt, Europa 2020 und allen weiteren auf Art. 121 AEUV gestützten Rechtsakten der „freiwilligen“ Koordinierung der Wirtschaftspolitik der EU-Mitgliedsstaaten, ansonsten könnten die Auflagen beliebige Inhalte haben, wären aber darauf verpflichtet, iwf-artig streng zu sein (Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV, Schlussfolgerungen des Ecofin-Rats vom 10.05.2010, Erklärung der Eurogruppe vom 28.11.2010, ). Iwf-artig strenge Auflagen können z. B. den Ausverkauf von Nahrungsmittelnotreserven (so geschehen in Niger, Malawi und Äthiopien) oder die Marginalisierung des Gesundheitswesens bis hin zur Ausbreitung von Tuberkulose (in den 1990er Jahren in Osteuropa und Zentralasien) bedeuten oder auch politische Ausnahmezustände zur Durchsetzung von IWF-Auflagen (z. B. 1997 in Thailand, 2010 in Rumänien und Griechenland).

Art. 12 ESM-Vertragsentwurf hat es besonders in sich. Ein Staat der Eurozone, welcher beim ESM einen Kredit beantragt, wird erst einmal einer „rigorosen Schuldentragfähigkeitsanalyse“ unterworfen durch IWF, EU-Kommission und EZB. Dabei wird geprüft, ob es realistisch ist, dass der betroffene Staat deren Auflagen erfüllt, und seine Verschuldung dabei wieder eine tragfähige Höhe erreicht. Die Schuldentragfähigkeit wird dabei gemessen an der Gesamtheit der Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung. Die Ersparnisse aus der Sozialversicherung müssten also mit für die Masse zugunsten der Gläubiger verwendet werden, soweit das Geld von Bund, Ländern und Gemeinden dafür nicht ausreichen würde. Was das für unsere Alters- und unsere Krankheitsversorgung bedeutet, dürfte sich jeder ausmalen können. Würde die rigorose Schuldentragfähigkeitsanalyse positiv ausfallen, so bliebe dem Staat das Staateninsolvenzverfahren erspart. Er müsste sich aber trotzdem zusätzlich zu den von IWF, EU-Kommission und EZB gemachten Auflagen auch noch welche (nach dem Vorbild der „Wiener Initiative“) nach den Wünschen seiner privaten größten Gläubiger machen lassen – eine deutliche Verschärfung im Vergleich zum Euro-Rettungsschirm.
Wäre der betroffene Staat hingegen nicht bereit, die Sozialversicherung notfalls mit einzusetzen, nicht bereit, alle Auflagen im Rahmen der besagten rigorosen Analyse zu erfüllen, oder würde sich eine Tragfähigkeit der Schulden auch mit diesen Maßnahmen nicht herstellen lassen, dann käme er zwangsweise ins Staateninsolvenzverfahren, wo er nun für jegliche Erleichterung der Zahlungsmodalitäten Auflagen von der Versammlung seiner privaten Gläubiger machen lassen müsste.
Den Auflagen der privaten Gläubiger zieht der ESM-Vertrag übrigens keine ausdrücklichen Grenzen, auch nicht, dass sie passen müssten zu denen der EU-Wirtschaftsregierung, zum Euro-Plus-Pakt oder zu Europa 2020 – nur iwf-typisch streng (Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV) müssten auch sie sein.
Das Wort „Staateninsolvenzverfahren“ sucht man im ESM-Vertragsentwurf vergebens – denn das ist ja nach dem Waldenfels – Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts bekanntlich verfassungswidrig.

Der ESM enthält weit mehr Leid als Stabilisierung – darum die Heimlichtuerei. Zur Ehrenrettung unserer Spitzenpolitiker erlauben wir uns die widerlegbare Annahme, dass diese vielfach vermutlich zeitlich völlig überfordert sind, die Tragweite des ESM deshalb überhaupt nicht vollständig erfassen können, von der Ablenkbarkeit durch Glanz und Gloria solcher Gipfeltreffen ganz zu schweigen.

Zugetragen wurde uns noch das Gerücht, am 26.06.2011 würde der Deutsche Bundestag in einer Geheimsitzung die Zustimmungsgesetze zum ESM und zu der dafür (ebenso wie für die EU-Wirt- schaftsregierung und beliebig viele weitere Mechanismen) als eu-primärechtlichen Anknüpfungspunkt vorgesehene Blankett-Ermächtigungsnorm Art. 136 Abs. 3 AEUV zustimmen würde. Das wurde jedoch auf unsere Nachfrage hin von esm-kritischer Seite innerhalb des Bundestags dementiert. Die Abstimmung im Bundestag werde voraussichtlich eher im September 2011 erfolgen.


Und Sie, werte Leser ? Auch Sie können etwas tun, z. B. diesen Artikel bekannt machen.

Oder auch die unten verlinkte Online-Petition gegen die Zustimmung zum ESM unterstützen.

Online-Petition vom 26.05.2011 zur Verhinderung der Zustimmung des Bundestags zum ESM-Vertrag

Gesetzentwurf zur Ausführung für Volksentscheide auf  Bundesebene
http://netzwerkvolksentscheid.de/wp-content/uploads/2011/05/Organigramm1.pdf

Quellen:

ESM auf den Nachdenkseiten

ESM auf Bürgerrechte Menschenrechte

Codewort „schreckliche Schönheit“ (vierteilige Internetradiosendung mit unserem Kenntnisstand zu kleiner Vertragsänderung Art. 136 (3) AEUV, EU-Wirtschaftsregierung, Euro-Rettungsschirm und Staateninsolvenzverfahren bis etwa Anfang März 2011)

Schlussfolgerungen des EU-Gipfels vom 24./25.03.2011

Tagesordnung des Europäischen Rats für den Gipfel am 24.06.2011 mit Angabe nur von Aktenzei- chen zu den wichtigsten TOPs ohne Veröffentlichung der Dokumente, auf welche sich diese bezie- hen (Stand 23.06.2011)

Artikel des deutschen Bundesfinanzministeriums „Die Zukunft der Europäischen Währungsunion – 16 Fragen und Antworten“







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