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Dienstag, 24. Juli 2012

Die Responsibility to Protect (Schutzverantwortung) - zum Schutz vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord - aber mit unkalkulierbaren Risiken der Umgehung des Angriffskriegsverbots

Unser Politikblog | 24.Juli 2012

Am 08.06.2012 fand bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen eine Veranstaltung mit dem Titel „Menschenrechte verantwortlich schützen – Konzept der Responsibility to protect weiterentwickeln“ statt.

Die „Responsibility to Protect“ (Schutzverantwortung) beruht auf Rn. 138 bis 140 der Resolution (Az. A/RES/60/1) der Uno-Vollversammlung zum Weltgipfel vom 16.09.2005. Sie beinhaltet, dass der Uno-Sicherheitsrat, wenn Straftaten nach dem Römischen Statut vorliegen, einen Kriegseinsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung genehmigen kann. Diese „Responsibility to Protect“ ist jedoch höchst umstritten, weil sie nirgendwo in der Uno-Charta verankert ist und in das Angriffskriegsverbot (Art. 2 Abs. 4 Uno-Charta) sowie in die Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) eingreift.

Grundsätzlich sind Resolutionen der Uno-Vollversammlung unverbindliche Absichtserklärungen. Sie sind dies nur insoweit nicht, wie die überwältigende Mehrheit der Staaten der Rechtsauffassung ist, dass sie verbindlich sind. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob am 16.09.2005 die meisten Uno-Mitgliedsstaaten überhaupt ausgerechnet diese drei Rn. 138 bis 140 verbindlich haben wollten incl. der Möglichkeit in der Uno-Charta nicht vorgesehener vom Sicherheitsrat zu genehmigender Militäreinsätze gegen Völkermord (Art. 6 Röm. Statut des IStGH), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Röm. Statut des IStGH) und anderer Verbrechen gem. dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs der Uno. Denn Rn. 139 spricht von Maßnahmen nach Kapitel VII der Uno-Charta, spricht nicht explizit von Militäreinsätzen. War den Vertretern der Staaten in dem Moment wirklich bewusst, dass mit der Bezugnahme auf Kapitel VII der Charta auch Militäreinsätze gemeint sind ?

Und wenn ausgerechnet diese 3 Rn. 138 bis 140 verbindlich gemeint gewesen sein sollten, warum dann nicht auch die folgenden, welche ebenso viele Menschenleben retten könnten:
-die Responsibility to Milleniums-Entwicklungsziele (Rn. 17) ?
-die Responsibtlity to Bekämpfung der Wüstenbildung (Rn. 56 lit. b) ?
-die Responsibility to Biodiversität (Rn. 56 lit. c) ?
-die Responsibility to Reduzierung der Müttersterblichkeit (Rn. 57 lit. h) ?

Und warum sollen ausgerechnet 3 Rn. einer einmalig erfolgten Resolution der Uno-Vollversammlung verbindlich sein, wenn andererseits laut dem IGH-Gutachten vom 08.07.1996 eine mehrfach transparent und für sich (und nicht in 3 Rn. eines langen Dokuments relativ versteckt) mit großer Mehrheit gegen den Widerstand fast allein der Uno-Vetomächte erfolgte Resolution der Vollversammlung, welche den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen verbieten wollte, kein „ius cogens“ und im dortigen Fall als Resolution der Vollversammlung allein wegen der Ablehnung durch die Veto-Mächte nicht verbindlich ist ? Das Gutachten vom 08.07.1996, das sei ergänzt, kam damals auf Grund der Genfer Konventionen des humanitären Kriegsvölkerrechts zum Ergebnis, dass der Einsatz von Atomwaffen, wenn überhaupt, dann nur zur Abwendung einer ansonsten absehbaren vernichtenden eigenen militärischen Niederlage erlaubt ist. Es scheint hier zweierlei Maß angewendet zu werden bei unterschiedlichen Resolutionen der Vollversammlung, selbst soweit diese auf die Bewahrung einer großen Zahl von Menschenleben gerichtet sind.

Unser Politikblog setzte sich bereits kritisch mit dem Konzept der „Responsibility to Protect“ auseinander in der Internet-Radio-Sendung „Libyen, Uran und Völkerrecht“ und im Beitrag „Uno-Menschenrechtsrat unter Lügenattacken zu Syrien - Spuren führen zu Rebellen und Al-Qaida-Söldnern – Welche Rolle spielt Bilderberg ?“

Selbst wenn die Responsibility to Protect verbindlich sein sollte, dürfte sie, da die Uno-Charta der höchste völkerrechtliche Vertrag ist (Art. 103 Uno-Charta), jedenfalls nicht entgegen den Vorschriften der Uno-Charta Anwendung finden, welche in Art. 2 Abs. 4 vor allem den Angriffskrieg verbietet, und welche Kriegseinsätze mit Genehmigung des Uno-Sicherheitsrats nur in den in der Uno-Charta genannten Fällen erlaubt, nämlich zur Wahrung und zur Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens (Art. 39 bis 41 Uno-Charta). Nach Art. 51 Uno-Charta gehören dazu auch Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Abwehr von Angriffskriegen. Einsätze zur Verhinderung oder zum Stop von Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind dort nicht vorgesehen, und dürften aus Sicht der Uno-Charta dann nur insoweit erlaubt sein, wie sie gleichzeitig erforderlich wären zur Wahrung der internationalen Sicherheit oder des Weltfriedens. Und das dürfte gerade bei Bürgerkriegen ohne militärische Einmischung anderer Staaten kaum der Fall sein können.
Die Responsibility to Protect schafft auch, mit dem verständlichen Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung, für die Bewertung des Uno-Strafrechts eine Parallelstruktur, welche dem Ergebnis des IStGH vorgreift, und welche das Risiko eingeht, dass sich die Bewertung hinterher durch das IStGH-Urteil als unzutreffend herausstellt. Solch ein Vorgreifen ist z. B. 2011 zu Libyen erfolgt. Um die Zivilbevölkerung im aufständischen Benghazi vor einem, angesichts der martialischen Propaganda des Gaddhafi-Regimes auch gegenüber der aufständischen Zivilbevölkerung, befürchteten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewahren, wurde vom Uno-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone genehmigt, was die Erlaubnis zum Abschießen von Kampfflugzeugen beinhaltete, aber insbesondere von Frankreich und Großbritannien massiv überdehnt wurde durch Bombardierung von libyschen Bodentruppen, Flugabwehrstellungen, zivilen Regierungsgebäuden bis hin zur Inkaufnahme der Zerstörung ziviler Gebäude wie z. B. mehrerer Krankenhäuser sowie von Wohngebäuden in Tripolis (siehe „Libyen Uran und Völkerrecht“).



Der Uno-Sicherheitsrat bekräftigte in Rn. 4 seiner Resolution 1674 (2006) vom 28.04.2006 zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten auch die Responsibility to Protect.

Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon schließlich legte am 12.01.2009 der Uno-Vollversammlung einen Bericht zur Responsibility to Protect vor. In Rn. 4 nahm er bezug auf die Resolution des Sicherheitsrats. In Rn. 8 seines Berichts verwies er auf den Vertrag vom 11.07.2000 zur Gründung der Afrikanischen Union, in dessen Art. 4 lit. g ausdrücklich den AU-Mitgliedsstaaten die gegenseitige Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten verboten ist, gleichzeitig aber die AU als solche ermächtigt wird, in Fällen von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu intervenieren.
Wenn Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon den Gründungsvertrag der Afrikanischen Union als vorbildlich ansieht, und wenn er sich so sicher gewesen ist, dass wirklich die meisten Uno-Mitgliedsstaaten die Verbindlichkeit der Rn. 138 bis 140 der Resolution der Vollversammlung zum Weltgipfel 2005 gewollt haben, warum hat er dann nicht wenigstens eine eindeutige und rechtsklare Änderung der Uno-Charta nach dem Vorbild der AU-Gründungsakte angestrebt und abgewartet, bevor er seine Vorschläge zur Umsetzung der Responsibility to Protect gemacht hat ?

Art. 10 lit. a seines Berichts verrät, dass er das Spannungsverhältnis zwischen Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) und Responsibility to Protect dadurch aufzulösen versucht, dass er die RtP in den Begriff der Souveränität hinein interpretiert als Teil der zur Souveränität gehörenden Verantwortung. Dabei sieht er dit RtP als Beitrag zur Verhinderung von Staatsscheitern.
Art. 10 lit. b seines Berichts wendet sich gegen Versuche, die RtP „auf andere Probleme wie HIV/Aids, den Klimawandel oder Maßnahmen bei Naturkatastrophen auszudehnen“, denn das „würde den Konsens von 2005 untergraben und den Begriff bis zur Unkenntlichkeit oder praktischen Unbrauchbarkeit verwässern“. Durch die Abgrenzung gegenüber noch weiter gehenden Positionen präsentiert er seine Position als moderat und postuliert gleichzeitig einen Konsens nicht nur über die Resolution zum Weltgipfel 2005, sondern auch über die Verbindlichkeit von deren Rn. 138 bis 140. Nach Rn. 71 seines Berichts wurde die Resolution zum Weltgipfel 2005 insgesamt sogar im Konsens der Regierungschefs beschlossen – was aber noch nichts darüber aussagt, ob und inwieweit welche Teile der Resolution von den Regierungen jeweils als „ius cogens“ und damit als verbindlich angesehen worden sind und werden.

Das Konzept des Uno-Generalsekretärs zur RtP sieht, aufbauend auf Rn. 138 + 139 der Resolution zum Weltgipfel 2005, ein Drei-Säulen-Modell vor. In erster Linie sind alle Staaten selbst verpflichtet, Verbrechen nach Römischen Statut auf ihrem Hoheitsgebiet zu verhindern (erste Säule). Wo dies nicht reicht, ist den Staaten seitens der Uno Unterstützung in vielfältigster Form zur Verfügung zu stellen (zweite Säule). Erst wo das nicht ausreicht, sieht das Konzept Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen bis hin zu vom Uno-Sicherheitsrat zu beschließenden Militäreinsätzen vor (dritte Säule).

Sehr positiv ist dabei die konkrete Aufnahme zahlreicher unterstützender Maßnahmen, damit es gar nicht erst zu Verbrechen wie Völkermord kommen kann, aber den Hauptmangel, nämlich die Schaffung von Mechanismen der Uno, welche Militäreinsätze beinhalten können, am ordnungsgemäßen Verfahren zur Änderung der Uno-Charta vorbei, können auch noch so viele friedliche präventive Maßnahmen nicht heilen.

In Rn. 10 lit. d seines Berichts betont der Uno-Generalsekretär die Bedeutung vollständiger und unparteiischer Informationen gegenüber den Vereinten Nationen, damit die RtP nicht selektiv angewendet wird.

Am 07.10.2009 nahm die Uno-Vollversammlung den Bericht des Generalsekretärs zur Kenntnis und beschloss, das Thema weiter zu behandeln (Az. A/RES/63/308). Wie ein weltweiter Konsens, dass die RtP verbindlich sei, sieht das nicht aus.

Bei der Veranstaltung am 08.06.2012 ging es ach um einen Antrag der grünen Bundestagsfraktion vom 09.05.2012 (Drucksache 17/9584), welchem es um eine Entschließung des Bundestags geht, in welcher die deutsche Bundesregierung aufgefordert werden soll, der RtP mehr Gewicht zu geben.
Dabei knüpfen die grünen Forderungen an das Drei-Säulen-Modell des Uno-Generalsekretärs an und fügen eigene politische Konzepte hinzu, auch für mehr Transparenz und für eine zeitliche Befristung von Mandaten des Uno-Sicherheitsrats, um eine Mandatsüberschreitung wie beim Krieg gegen Libyens Gaddhafi-Regierung zu verhindern.

Unser Politikblog sprach am 08.06.2012 mit Dr. Louise Arbour, ehemaliger Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte und heute Präsidentin der Denkfabrik „International Crisis Group“ sowie mit Kerstin Müller, der außenpolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. 





Frau Dr. Arbour war 1999 Chefanklägerin des internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Man möchte ihr persönlich abnehmen, dass sie es ehrlich meint mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der RtP. Nur warum gehören dann zum Board der International Crisis Group auch George Soros und Joschka Fischer, die beiden mächtigsten Männer der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“, welche wie kaum eine andere in Europa an der Aushebelung des Angriffskriegsverbots arbeitet ?

Das Interview mit Frau Dr. Arbour brachte die erstaunliche Erkenntnis, dass für die Frage, ob ein Völkermord oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt, der entscheidendste Punkt gar nicht die absolute Zahl der Opfer oder deren Prozentsatz im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist, sondern wie planmäßig und wie vorsätzlich die Taten verübt werden.





Gerade das lässt aber reichlich Spielraum für Ungleichbehandlungen. In Syrien werden sowohl der Regierung, als auch den Rebellen bzw. den Al-Qaida-Söldnern die Tötung von Zivilisten vorgeworfen. Wenn dort beide Seiten recht haben sollten, könnte man mit RtP ein Eingreifen sowohl auf der Seite der syrischen Regierung, als auch auf der Seite der syrischen Rebellen rechtfertigen. Kann das richtig sein ?
Frau Müller ist jedenfalls im Interview der Überzeugung, dass eine RtP – Intervention gegen die syrische Regierung niemand (außer den Rebellen) ernsthaft will.

Unverständlich scheint uns auch, warum es kein Völkermord im Sinne von Art. 6 lit. c Römisches Status des IStGH und damit auch kein Fall für die RtP sein soll, wenn Staaten es wissentlich hinnehmen, dass in ihrem Hoheitsgebiet Menschen in großer Zahl hungern und verhungern, obwohl sie die Mittel für die Ernährung dieser Menschen hätten, wenn sie nur woanders, und sei es beim Schuldendienst, sparen würden, während die aktive Tötung einer im Vergleich dazu deutlich geringeren Zahl an Zivilisten in anderen Staaten, wie z. B. in Libyen, ein Fall für RtP sein soll.

Unser Fazit:

Die Responsibility to Protect ist, soweit es um den nicht–militärischen Teil geht, ein gutes und wichtiges Instrument zur Verhinderung von Straftaten wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Als eigenständiges Instrument zur Ermöglichung von Militäreinsätzen am Wortlaut der Uno-Charta vorbei birgt es hingegen unkalkulierbare Gefahren der Aushebelung des Angriffskriegsverbots. Soweit jedoch Tatbestände der Uno-Charta wie eine Verletzung oder Gefährdung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit vorliegen, scheint es uns geboten und angemessen, das Vorliegen von Verbrechen nach dem Römischen Statut als besonders erschwerende Fakten in die Entscheidung des Sicherheitsrats einzubeziehen.

Links:
Antrag der grünen Bundestagsfraktion vom 09.05.2012 (Drucksache 17/9584) zur RtP

Uno-Menschenrechtsrat unter Lügenattacken zu Syrien - Spuren füren zu Rebellen und Al-Qaida-Söldnern – Welche Rolle spielt Bilderberg ?“ http://unser-politikblog.blogspot.de/2012/06/uno-menschenrechtsrat-unter.html



Unser Politikblog - Sendung „Libyen, Uran und Völkerrecht“.

Kapitel VII der Uno-Charta

Abschlussresolution der Uno-Vollversammlung zum Weltgipfel 2005 (incl. Responsibility to Protect)

IGH-Gutachten vom 08.07.1996 verneinte Verbindlichkeit der wiederholten Resolution der Uno-Vollversammlung für ein totales Verbot des Atomwaffeneinsatzes

Resolution 1674 (2006) des Uno-Sicherheitsrats vom 28.04.2006 zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten

Bericht von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Responsibility to Protect vom 12.01.2009 (A/63/677)

Gründungsvertrag der Afrikanischen Union vom 11.07.2000

Resolution der Uno-Vollversammlung vom 07.10.2009

1 Kommentar:

  1. hallo liebes team, habe heute einen teil (etwas ältere, aber auch neue videos) angesehen und musste feststellen, dass bei einem teil davon
    z.b. http://www.youtube.com/watch?v=V8MTR7O9NOo&feature=youtu.be prof fisahn interview, starbatty interview, kein ton mitgeliefert wird.

    mfg martin

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