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Sonntag, 9. September 2018

Veranstaltung auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn zum 70-jährigen Jubiläum des Parlamentarischen Rats


Unser Politikblog | 09.09.2018

Am 01.09.2018 hat auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn eine Kundgebung zur Ehrung des 70. Jahrestags des Parlamentarischen Rats und für demokratische Kontrolle und Transparenz insbesondere beim Bundesverfassungsgericht stattgefunden.

 Platz der Vereinten Nationen in Bonn vor der Veranstaltung


Die Menschenrechtsaktivistin Sarah Luzia Hassel-Reusing hat die Veranstaltung angemeldet gehabt. Sie und ihr Ehemann Volker Reusing sind u. a. bekannt durch Unser Politikblog, durch ihren menschenrechtlichen Einsatz für zwischengeschlechtliche Menschen, gegen Genmanipulation in der Landwirtschaft und gegen die Schaffung eines globalen Staateninsolvenzverfahrens, sowie durch ihre Verfassungsbeschwerden zum Lissabon-Vertrag, zu EFSF, ESM, Fiskalpakt und „kleiner Vertragsänderung“ (Art. 136 Abs. 3 AEUV), zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr und zur EU-Datenschutz-Grundverordnung.

Redner und Teilnehmer der Veranstaltung kamen aus einem breiten politischen und weltanschaulichen demokratischen Spektrum, darunter Menschen aus der Flüchtlingshilfe ebenso wie solche, die sich gegen die Zunahme der Gewalt in unserem Land engagieren. Weitere Zuhörer kamen später zeitweilig im Laufe der Veranstaltung hinzu, darunter Besucher des nahe gelegenen Hotels und des am Abend stattfindenden Beethoven-Konzerts. Außerdem waren diesmal, insbesondere während der ersten Reden, weitere Journalisten anwesend.
Anders als bei der ersten Veranstaltung am 23.05.2018, wo für die verteilten Grundgesetze in arabischer Sprache ein reges Interesse bestand, waren diesmal so gut wie keine Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund dabei.

Eingangs bedankte sich Volker Reusing bei der Polizei für deren vorbildliche Vorkehrungen zur Sicherheit dieser Veranstaltung sowie einer weiteren Kundgebung am anderen Ende des Platzes, welche ebenfalls auf anti-faschistischer Grundlage stattfand. Volker Reusing äußerte die Einschätzung, dass Leute wie seine Frau und er bei den Nazis mit Sicherheit im KZ gelandet wären. Er erläuterte, dass die Symbolik mit den weißen Rosen, im Gedenken an den Parlamentarischen Rat, bewusst gewählt sei in Anlehnung an die Geschwister Scholl, die sich im Zeichen der weißen Rose aus einem aufgeklärten christlich-humanistischen Bewusstsein schützend vor die Weimarer Reichsverfassung gestellt haben. Im Zeichen der gleichen Zivilcourage stelle sich die Kampagne „Stoppt den Grundrechtsboykott“ entschlossen, friedlich und rechtsstaatlich schützend vor unser Grundgesetz.


Danach ging es um die Forderungen des Gesetzentwurfs mit Petition „Stoppt den Grundrechtsboykott“, denn der wichtigste Schritt zur Ehrung des Parlamentarischen Rats sei es, das von diesem geschaffene Grundgesetz auch anzuwenden. Dem Gesetzentwurf gehe es darum, durch Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und des Grundgesetzes lückenlos alle „Schlupflöcher“ zu schließen, mit welchen es heute de facto noch möglich sei, sich intransparent selektiv vor der Behandlung gültiger Verfassungsbeschwerden zu drücken. Als mit Abstand wichtigsten Inhalt des Gesetzentwurfs hob Volker Reusing die Streichung des §93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG hervor, welcher seit 1993 Nichtannahmen von Verfassungsbeschwerden intransparent ohne Begründung ermögliche. Außerdem geht es u. a. um eine unmissverständlichere Formulierung der Befangenheitsvorschriften, um die Volkswahl der Verfassungsrichter, um die Untersagung aller bezahlten Nebentätigkeiten und um die Einführung einer expliziten Strafbewehrung gegen die Mitentscheidung über gegen einen selbst gerichtete Befangenheitsanträge.


Sodann folgte ein kurzer Ausschnitt aus der Zeitleiste „Beobachtungen – Der Parlamentarische Rat 1948 / 1949“ der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, auf dem Weg vom Tag der Befreiung vom Naziregime bis zum Beginn des Parlamentarischen Rats. Die darin vertretenen Parteien (SPD, CDU, CSU, FDP, Zentrum, KPD und DP) und deren Sitzverteilung wurden benannt. Volker Reusing betonte, dass diese insgesamt einen sehr breiten Teil des damaligen demokratischen Spektrums von weit links bis weit rechts vertraten, dass sie alle wertvolle Beiträge zur Entstehung des Grundgesetzes geleistet haben, und dass sie alle zumindest den Grundkonsens gehabt haben, dass es nie wieder eine Naziherrschaft geben darf.
Der Redner erläuterte, dass das Grundgesetz in einer angespannten Situation geschaffen worden sei während der Zeit der Berlin-Blockade, und dass es damals einen Wettlauf gegeben habe zwischen der Schaffung des Grundgesetzes für die drei westlichen Besatzungszonen und dem Projekt einer gesamtdeutschen Verfassung mit mehr kommunistischen Inhalten. Die KPD habe damals primär versucht, das ihrer Anschauung näher stehende Projekt durchzusetzen, aber auch Inhalte ins Grundgesetz einzubringen.

Einige Abgeordnete des Parlamentarischen Rats wurden besonders lobend und ehrend hervorgehoben. Darunter ist Dr. Thomas Dehler (FDP), auf den die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) zurückgeht, welche die entscheidende Antwort des Grundgesetzes auf die schrecklichen Erfahrungen mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis und dessen Folgen sei. Die KPD wurde für ihren Antrag auf die Einfügung eines Art. 2a GG mit den Grundrechten auf Nahrung, Kleidung und Wohnung gelobt. Positiv hervorgehoben wurden auch die Versuche des Zentrums, mehr soziale Grundrechte sowie ein Grundrecht auf Volksabstimmungen ins Grundgesetz aufzunehmen. Ebenfalls gewürdigt wurde die Initiative des SPD-Abgeordneten Walter Menzel, Volksabstimmungen auch zur Abwahl der Abgeordneten zu ermöglichen. Gedacht wurde auch Dr. Elisabeth Selbert und Friederike Nadig, den beiden SPD-Abgeordneten, die durchgesetzt haben, dass im Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG die Gleichberechtigung von Mann und Frau besonders hervorhoben ist.
Außerdem zählte er die Grundrechte des Grundgesetzes und die in Deutschland gültigen internationalen Menschenrechtsquellen auf und sprach über die wehrhafte Demokratie.

Iris Swoboda hielt eine leidenschaftliche Rede zur Menschenwürde des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie erläuterte, warum diese ist etwas ganz besonderes ist, auch im Vergleich zu den verfassungsmäßigen Ordnungen der anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie im Vergleich zu den Menschenrechtsssystemen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und des Europarats.
Emotional und bewegend waren ihre Beispiele, was zur Menschenwürde gehört, und wie die Würde von Frauen in Deutschland verletzt werde. Eindringlich war ihr Aufruf, dass der Staat, seinem Gewaltmonopol zum Schutze der Frauen gerecht werden müsse. Sie forderte, das Bildungsdefizit in Deutschland hinsichtlich Grundgesetz und Menschenrechten, das bei Deutschen und Ausländern, bei schon länger hier lebenden Menschen und bei Neuankömmlingen bestehe, zu schließen.



Marcel Wojnarowicz erläuterte niedrigschwellig die Bedeutung des Grundgesetzes für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Er kritisierte die Praxis der Nichtannahmen, die mangelnde Gleichbehandlung unterschiedlich prominenter Kläger und die heute noch gesetzlich erlaubte Möglichkeit von Verfassungsrichtern, einer bezahlten Nebentätigkeit an der Uni nachzugehen. Außerdem beleuchtete er am Beispiel einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Leipzig zur Steuerung bewaffneter Drohnen von der US-Luftwaffenbasis in Ramstein aus, dass durch Gerichte die Voraussetzung der persönlichen Betroffenheit durch die Gerichte bisweilen zu eng auslegt werde.





In einem weiteren Vortrag erläuterte Volker Reusing Art. 1 Abs. 2 GG, welcher eine Verpflichtung auf die universellen Menschenrechte und auf den Staatsauftrag Friedensgebot enthalte. Den Beweis führte er mittels der historischen Auslegungsmethode nach anhand der „Stuttgarter Rede der Hoffnung“ Seiner Exzellenz, des US-Außenministers James F. Byrnes, vom 06.09.1946, sowie anhand von Reden im Parlamentarischen Rat von Dr. Adolf Süsterhenn (CDU) und Dr. Hans-Christoph Seebohm (DP).

Niki Vogt beschäftigte sich in ihrem Vortrag aus einer rechtsphilosophischen und historischen Perspektive mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und deren Aushöhlung durch das imperiale Prinzip. Außerdem beleuchtete sie eine Rede Seiner Exzellenz, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die darin geäußerten Überlegungen vor allem zur Schaffung einer EU-Armee und zur Einschränkung der Demokratie würden, wenn die EU es unternehmen sollte, diese umzusetzen, den Gang nach Karlsruhe erforderlich machen.

Danach wurde ein Grußwort des ehemaligen griechischen Botschafters Leonidas Chrysanthopoulos verlesen, in welchem es u. a. um das Griechenland auferlegte unmenschliche Spardiktat sowie die Verantwortung auch Deutschlands incl. des Bundesverfassungsgerichts dafür ging.



In einem weiteren Vortrag betrachtete Volker Reusing positive Urteile des Bundesverfassungsgerichts wie das zum Hypothensicherungsgesetz, das Lissabon-Urteil und das Waldenfels-Urteil. Außerdem beleuchtete er das Versagen des Gerichts in den Urteilen zum ESM sowie zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr, und verdeutlichte anschaulich deren Tragweite. Die in den Urteilen zum ESM erfolgte auf die Demokratie verengte Auslegung der Ewigkeitsgarantie war eine Kampagne vorausgegangen, welche auf eine Volksabstimmung zur Öffnung der Ewigkeitsgarantie zielte, ohne dies transparent zu machen – anknüpfend an das am 19.09.2011 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Interview „Keine EU-Wirtschaftsregierung ohne Änderung des Grundgesetzes“ mit dem zuständigen Berichterstatter im Bundesverfassungsgericht, in welchem er laut nachgedacht hat über eine vollständige oder teilweise Beiseiteschiebung der Ewigkeitsgarantie mittels einer auf Art. 146 GG gestützten Volksabstimmung, wozu er in dem Interview selbst gesagt hat, dass es „in der Sache“ „eine Revolution“ wäre.

Abschließend sprach Felix Staratschek als Zeitzeuge. Er war im Jahr 2012 unter den mutigen Bürgern, die durch Schaffung von Transparenz wesentlich mit dazu beigetragen haben, dass in den Urteilen zum ESM das deutsche Volk nicht dazu verurteilt worden ist,
über eine Öffnung der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) abstimmen zu müssen.


Links:


-Gesetzentwurf:https://sites.google.com/site/buergerrechtemenschenrechte/stoppt-den-grundrechtsboykott

Teil: 1  https://www.youtube.com/watch?v=USZWJgxGDXU&t=107s
Teil: 2  https://www.youtube.com/watch?v=avhi4PvTOaE&t=2s
Teil: 3  https://www.youtube.com/watch?v=oOYDpVgLIgM&t=10s
Teil: 4  https://www.youtube.com/watch?v=G8JisgNl270&t=3s
Teil: 5  https://www.youtube.com/watch?v=vwIUuCnAm6U&t=8s
Teil: 6  https://www.youtube.com/watch?v=qy_x5ZyhYJM&t=4s
Teil: 7  https://www.youtube.com/watch?v=yQ6Xpsx3Tdk&t=15s
Teil: 8  https://www.youtube.com/watch?v=8bndM3GodQI
Teil: 9  https://www.youtube.com/watch?v=MywY8ER3jmc&t=5s
Teil:10 https://www.youtube.com/watch?v=vOHyIVLmGrk&t=41s
Teil:11 https://www.youtube.com/watch?v=5W57EY5SV00&t=2s
Teil:12 https://www.youtube.com/watch?v=cHXRb-ccelY


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