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Freitag, 28. Juni 2019

Interview mit Majd Abboud Teil 2 Erfahrungen in Deutschland


Unser Politikblog | 28.06.2019

Majd Abboud hat in seinem Heimatland Syrien als Zahnarzt gearbeitet. Heute lebt er als Flüchtling in Deutschland. Viele kennen ihn durch die Zeitschrift Cicero oder durch RT Deutsch.

Majd Abboud
Im zweiten Teil des Interviews geht es um seine Erfahrungen in Deutschland und um Handlungsbedarf in Deutschland zur Verbesserung der Integration und zum Schutz vor Dschihadisten und vor der Moslembruderschaft.



VR: Ich würde jetzt gerne zu Ihren Erfahrungen hier in Deutschland kommen. Was sind Ihre
Erfahrungen mit den Anstrengungen Deutschlands zur Integration der hier neu ankommenden
Menschen? Sie sind ja als Flüchtling vor dem Krieg nach Deutschland gekommen.

MA: Es werden viele Fehler in der Flüchtlingspolitik oder im Zusammenhang mit sogenannter Integration gemacht. Finanziell hat sich Deutschland sehr bemüht, die Flüchtlinge mit dem Notwendigsten zu versorgen. Aber auch die Chance, ein neues Leben zu führen, halte ich für einmalig und sehr wichtig. Auf kultureller Ebene wäre eine echte Begegnung nur möglich, wenn Deutschland die Radikalen, die Terroristen, die Dschihadisten, und auch die Leute, die nicht am Krieg teilgenommen haben, sondern nur mit radikalen Ansichten hier ins Land eingereist sind,identifiziert und diese Mentalität unterbindet. Das hat Deutschland bislang nicht gemacht,
sondern im Gegenteil beide Augen davor verschlossen. Viele Leute haben Radikale oder
Terroristen angezeigt.



Es wurde nicht ernst genommen. Ich habe bereits in Lebach, im
Erstaufnahmelager, darüber berichtet, dass sich etliche Terroristen und Kämpfer unter den
Flüchtlingen befinden. Auch Ehrenamtliche, die mit Flüchtlingen gearbeitet haben, berichten
andauernd, dass sich Kämpfer von IS, Al Nusra oder der Freien Syrischen Armee (FSA) hier in
Deutschland befinden. Und das wird einfach nicht zur Kenntnis genommen, sondern ignoriert.
Es fehlt der politische Wille, diesen Schritt zu gehen. Wenn man diese Leute hier in
Deutschland bestraft, dann werden sie ja nicht weiter in Syrien kämpfen. Diese Leute sind die
Partner des Westens in Syrien. Sie kämpfen, um Assad zu stürzen. Und genau das will der
Westen. Das gefährdet jedoch nicht nur den Frieden des Landes, sondern auch den Aufenthalt
derer, die sich integrieren wollen.


VR: Ich kann mich erinnern, es gab vereinzelt durchaus Prozesse. Zum Beispiel in Baden-
Württemberg gegen jemanden, der sich Ahrar al Sham angeschlossen haben soll. Ich meine,
dass jemand sich einer Terrorgruppe angeschlossen hat, selbst wenn er dort darüber hinaus
nichts angestellt hat, selbst das ist ja in Deutschland schon strafbar. Das müsste doch eigentlich
verfolgt werden.

MA: Es gibt viele Fälle. Im September 2018 wurde in Düsseldorf ein Syrer verurteilt, weil er in
Aleppo Leute gefoltert hat. Es handelte sich um einen Anhänger der Freien Syrischen Armee
(FSA), die von den westlichen Medien so gerne als gemäßigt bezeichnet wird. Er wurde als
Kriegsverbrecher verurteilt, da er in Aleppo Leute zu Tode gefoltert und ermordet hat. Ich finde
es gut, dass endlich nach sieben bis acht Jahren einige Maßnahmen ergriffen wurden, um
solche Terroristen zu identifizieren. Aber das ist kein Einzelfall. Davon gibt es eine Menge in
Deutschland. Viele Flüchtlinge und Ehrenamtliche berichten davon. Ich denke gerade an Abu Al
Baraa und andere Imame, die immer zum Dschihad aufgerufen haben. Dagegen wurde nichts
unternommen. Infolgedessen sind viele Leute aus ganz Europa ungehindert nach Syrien in den
Krieg gezogen. Ich finde es erschreckend, dass solche Berichte in den Medien neutral gezeigt
werden. Es wird einfach darauf hingewiesen, und es wird immer gesagt, es besteht der
Verdacht, und ja, wir beobachten. Ich denke, das ist nicht genug. Der Verdacht drängt sich auf,
dass Länder dadurch destabilisiert werden sollen. Der politische Islam bietet eine willkommene
Möglichkeit, Kriege zu führen, Länder zu destabilisieren, Regierungen unter Druck zu setzen.
Deshalb wird er vom Westen unterstützt.

VR: Der politische Islam ist ja ein anderes Wort für die Ideologie der Muslimbruderschaft.

MA: Die Muslimbruderschaft ist eine politische islamische Organisation, die sich verschiedener
Ideologien oder Auslegungen des Islam bedient, wenn ihr das von Nutzen ist. Der Wahabismus
ist zum Beispiel eine besondere Auslegung des Islam und mit dem Salafismus verwandt. Er
wird in Saudi-Arabien benutzt, um das politische System zu untermauern. Dadurch ist diese
Ideologie zu einer Regierungsform geworden und zählt auch zum politischen Islam. Das sind
die zwei großen Strömungen des politischen Islam in der sunnitischen islamischen Welt. Die
Muslimbruderschaft ist eine gut rasierte Fassade, hinter der sich der IS versteckt.

VR: Vor allem, wenn sie ein globales Kaliphat wollen, dann kann man die Kämpfer ja überall
einsetzen.

MA: Das ist eine Armee, die über die Grenze hinaus reicht. Diese Ideologie kennt keine
Grenzen. Man geht einfach ins Internet, sieht Videos. Am Anfang des Krieges gab es so viele
Videos auf Youtube, in denen man lernt, wie man eine Bombe baut. Auch in Syrien habe ich
erlebt, wie schnell sich viele Moscheebesucher radikalisiert haben.

VR: Wie können wir dem beikommen? Ich meine, das eine ist das Strafrecht, wenn Leute
Gewalt verübt haben oder Hassreden, Volksverhetzung begangen haben oder wenn sie sich
solchen Gruppierungen angeschlossen haben. Aber vielleicht haben Leute solche
Gruppierungen unterstützt, ohne selbst zu Gewalt und Hass beizutragen, und sich ihnen noch
nicht angeschlossen und noch nicht strafbar gemacht. Wie können wir mit solchen Leuten
umgehen, wenn die hierhin kommen, damit sie umdenken, um sie da herauszuholen?

MA: Ich denke, es ist entscheidend, die Lehrinhalte der Moscheen zu überprüfen. Dies wird
bisher nicht getan, mit der Begründung, das sei ja Meinungs- oder Religionsfreiheit. Aber wir
haben schon seit zwanzig Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Gefahr besteht, dass in den
Moscheen Leute radikalisiert und rekrutiert werden. Und das ist äußerst gefährlich.

VR: Sie haben gerade gesagt, dass die Muslimbruderschaft hier in Deutschland in islamischen
Räten sehr gut vertreten sei.

MA: Ja. Und in den politischen Parteien auch. DITIB ist eine Vereinigung der
Muslimbruderschaft.

VR: Also ist sie auch in Organisationen vertreten, wo es um Integration geht, sodass sie also
auch selber darauf Einfluss nehmen können, was Deutschland zur Integration tut.

MA: Es gibt in jeder Stadt einen Integrationsbeauftragten oder Entsprechendes. Und die
Moslems sind überall gut vertreten.

VR: Also, Sie meinen an zahlreichen Orten in Integrationsgremien, ohne dass Sie jetzt konkrete
Namen nennen wollen.

MA: Schon im Flüchtlingslager war die Islamische Gemeinde Saarland präsent. Die kamen ins
Camp und haben über die Religion eine Zugehörigkeit geschaffen. Man kann die Leute gut mit
der Islamzugehörigkeit anlocken. Eine große Rolle hat gespielt, dass viele Geflüchtete sich mit
der türkischen Identität, sei es politisch oder religiös, verbunden fühlen. Und das beeinträchtigt
meiner Meinung nach die Integration. Ich habe die Moscheen als Hindernis der Integration
empfunden– ja, natürlich kann man eine Religion und Auffassung und Zugehörigkeit haben.
Aber ich finde es nicht richtig, dass Religion institutionalisiert wird. Religion sollte Privatsache
bleiben und nicht institutionalisiert werden.

VR: Also, Religion und Politik sollten mehr getrennt sein.

MA: Genau. Außerdem muss der Islam unbedingt reformiert werden.

VR: Im deutschen Grundgesetz gibt es ja nur ein Grundrecht, welches voll unantastbar ist, das
ist die Menschenwürde. Und von den anderen Grundrechten, auch von der Religionsfreiheit, ist
nur der Kern unantastbar. Also darf man in die Religionsfreiheit eingreifen, wenn das
verhältnismäßig ist, nur nicht in den Kern. Es ist ja dann kein Grundrechtsverstoß, wenn man
kontrolliert, was dort gepredigt wird, solange man sie nicht an der Religionsausübung hindert.

MA: Doch viele Predigtinhalte verstoßen gegen das Grundgesetzt, zum Beispiel, wenn in den
Moscheen zum Dschihad aufgerufen wird. Ist das nicht gegen das Grundgesetz?

VR: Doch, natürlich.

MA: Man sieht in Saudi-Arabien und in Katar überall Videos, in denen gegen die „Ungläubigen“
oder auch ihre Feste wie Weihnachten und Silvester gehetzt wird. Da ist es doch berechtigt,
wenn man Angst bekommt. Ich habe gehört, dass es eine Initiative gibt, neue Imame in
Deutschland auszubilden. Das ist auch eine Art Kontrolle.

VR: Das hört sich doch gut an, wenn wir die ganzen neuen Imame auch am Grundgesetz
ausbilden.

MA: Ja, das hört sich gut an, wird aber nicht funktionieren. Erstens orientieren sich die meisten
Muslime an Saudi-Arabien, der Türkei oder Katar, und daran, was dort gepredigt wird. Zweitens
werden viel mehr Imame dort ausgebildet und in viele Länder geschickt. Dadurch gewinnt
Saudi-Arabien oder die Türke immer mehr Einfluss. Außerdem denke ich, die Sache mit der
Religion ist in Deutschland immer noch ein bisschen heikel. Und solange man nicht die Freiheit
hat, alle zu kritisieren, sowohl Ideologien als auch Religionen (die ich zu den Ideologien rechne),
solange Kritiker als islamfeindlich bezeichnet werden, ist die Meinungsfreiheit auch
beeinträchtigt.

VR: Sie haben gesagt, dass Deutschland mehr tun muss, um die Dschihadisten, die nach
Deutschland gekommen sind, herauszufiltern oder die Anhänger von deren Organisationen.
Wie könnte das denn besser gelingen als bisher? Also einmal der politische Wille, aber wie
kann man das konkret noch besser hinbekommen?

MA: Um die Terroristen zu identifizieren, meinen Sie? Die Geheimdienste könnten mit den
Russen, aber auch mit der syrischen Regierung besser zusammenarbeiten, um solche
Straftäter zu identifizieren oder um zu wissen, wer was begangen hat. In Syrien gab es oft
Amnestie. Und nur so gelang es der syrischen Armee, in Daraa einzumarschieren. Es gibt jetzt
ein Ministerium für Versöhnung in Syrien. Die Leute, die die Waffen niederlegen, können normal
leben, solange sie keine schweren Verbrechen begangen haben, also etwa Menschen getötet.

VR: Das bedeutet, dadurch hat die syrische Regierung im Gegenzug zur Amnestie ganz viele
Daten, weiß wesentlich besser über die Strukturen dieser Gruppen Bescheid, und könnte auch
Deutschland helfen, unsere Sicherheit zu stärken.

MA: Natürlich. Es gab Berichte, durch Informationsaustausch zwischen Syrien und Frankreich
konnten Attentate in Frankreich verhindert werden. Auf der anderen Seite, denke ich,
Geheimdienste, die am syrischen Krieg beteiligt sind und diese „Rebellengruppen“ oder die
Freie Syrische Armee unterstützt haben, besitzen auch Namen und Listen. In der Türkei gab es
Camps an der Grenze, wo die Gruppierungen gebildet werden. Und das könnte nicht passieren,
ohne dass der türkische Geheimdienst Bescheid wusste. Bilder aus der Türkei zeigen Al-Nusra-
und FSA-Kämpfer aus Idlib, die sich in der Türkei erholen.

VR: Ich habe bei Voltairenet gelesen, dass auch Kämpfer, die in Libyen gekämpft haben, nach
dem Sturz der Regierung Gaddhafi von Libyen in die Türkei gekommen sind und dort auf den
Einsatz in Syrien vorbereitet worden sind. Auch da muss es Namen geben. Dieser Transport
von Kämpfern von Libyen in die Türkei und dann nach Syrien muss vor dem IS-Angriff gewesen
sein, bevor der IS den großen Angriff 2014 gemacht hat.

MA: Man kann hier von einer Armee sprechen, die überall einsetzbar ist. Die Namen der
Kämpfer und die Strukturen dieser Gruppen sind selbstverständlich den Auftraggebern bekannt.
Die Gruppierungen bedeuten für mich überhaupt nichts, zu denen diese Kämpfer gehören, sei
es IS oder Al-Nusra oder sonst irgendeine Gruppe. Sie sind alle Islamisten für mich. Vom
Radikalismus her sind sie auf der gleichen Stufe. Der Unterschied ist, woher sie die
Finanzierung bekommen.

VR: Und wer das militärische Kommando gibt.

MA: Ja, wie bei jeder Söldnerarmee hat der Geldgeber das Kommando. Die westliche Politik hat
den Politischen Islam immer als Partner betrachtet, der die Weiterverbreitung des Kommunismus
und den Aufbau souveräner Nationalstaaten in arabischem Raum verhindern kann. Erinnern
wie uns hier an den Kampf der Muslimbruder in Ägypten gegen Gamal Abdel Nasser 1954-1970
oder an die partnerschaft mit den Taliban und die begründung von Al-Qaida in Afghanistan.

VR: Wie kann allgemein ein angemessenes Maß an Zugehen auf die Neuankömmlinge in
Deutschland zugehen? Und wo sollte es vielleicht auch den Neuankömmlingen etwas
abfordern? Sie haben in Cicero ja auch etwas dazu gesagt, wie ein richtiges Maß aussehen
könnte.

MA: Zuallererst sollte diese Zusammenarbeit mit dem politischen Islam abgebrochen werden.
Diese Unterstützung, die ich als Pakt mit dem Teufel bezeichnet habe, sollte beendet werden.
Die große Herausforderung ist, die Flitterwochen mit den Terroristen zu beenden. Das ist
überhaupt nicht einfach, weil so viele Kämpfer jetzt nicht nur in Deutschland, sondern in ganz
Europa sind. Und wenn man anfängt, diese Kämpfer zu identifizieren, dann wäre es recht
gefährlich, denn man weiß nicht, wie solche Leute reagieren. Die Regierung treibt ein ganz
gefährliches Spiel. Sie versucht, sie irgendwie zufrieden zu stellen, dabei haben viele Leute
Angst. Die Lehrerinnen in den Integrationskursen haben nichts zu sagen. Sie werden von den
Herren als „Nazi“ oder so etwas bezeichnet. Die Leute, die es richtig machen wollen und das
versuchen, bekommen keine Unterstützung. Zweitens sollte von den Flüchtlingen eine
Gegenleistung verlangt werden. Es ist nicht richtig, dass man einen Kurs nach dem anderen
angeboten bekommt. Ob man die Prüfung besteht oder nicht, ist egal, man bekommt auf jeden
Fall Sozialhilfe vom Jobcenter und bekommt einen neuen Kurs oder Maßnahmen angeboten.
Viele besuchen die Kurse nur, um gegenüber dem Jobcenter Zeit zu gewinnen. Den
Geflüchteten sollte so unmissverständlich klar gemacht werden, dass sie auch eine
Gegenleistung zu erbringen haben.

VR: Was könnte das sein?

MA: Was man mindestens machen kann, ist die Sprache zu erlernen und sich in die
Gesellschaft einzubringen. Einen Zuschuss von 1.500 Euro für einen Führerschein halte ich für
ungerechtfertigt, wenn man nicht richtig Deutsch sprechen und schreiben kann. Es wurde damit
begründet, dass man mit Führerschein bessere Chancen auf Arbeit bekommen könnte. Aber
wie könnte man Arbeit finden, wenn man überhaupt nicht in der Lage ist, sich ordentlich zu
bewerben?

VR: Ja, und wenn man vielleicht so wenig Deutsch kann, dass man nicht alle Schilder im
Straßenverkehr versteht, die Straßennamen...

MA: Moment. Die Führerscheinprüfung wurde auf Arabisch durchgeführt.

VR: Obwohl wir deutsche Straßennamen und deutsche Ortsnamen auf den Schildern haben?
Das sollte man vielleicht erst machen, wenn die Leute die Deutschprüfung geschafft haben.

MA: Und auch, wenn die Prüfung auf Arabisch abgehalten wird, wird dort geschummelt. Auch in
den Sprachprüfungen wird viel betrogen. Davon habe ich berichtet, was mich in Schwierigkeiten
gebracht hat. Trotz des Betrugs lag die Erfolgsquote in meinem Kurs nur bei etwa 20%. Wenn
die Leute außerdem wissen, dass sie die Prüfung irgendwie mit Betrug schaffen können, dann
gehen sie nicht in den Unterricht, stören die Lernatmosphäre und hindern die anderen am
Lernen. Deshalb muss natürlich auch verlangt werden, dass sie sich an die Regeln halten.

VR: Da muss man ihnen noch die wichtigsten Regeln beibringen.

MA: Ich denke, die Grundsätze sind den Menschen bekannt. Dass man niemanden mit einem
Messer erstechen darf, das ist doch klar. Ich brauche niemanden, der mir das beibringt. Oder
dass man Leute nicht schlägt oder beschimpft, das sollte einem klar sein.

VR: Wir haben ja hier in Deutschland ein Grundgesetz, wir haben eine EU-Grundrechtecharta,
wir haben acht Menschenrechtsverträge von der Uno, an die wir uns gebunden haben, plus die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, auch mehrere Menschenrechtsverträge vom
Europarat. Was davon wird denn bei der Integration den Neuankömmlingen beigebracht?
Worüber werden sie informiert von den hier geltenden Grundrechten und Menschenrechten?

MA: Davon habe ich im Integrationskurs nichts erfahren.

VR: Nicht einmal über unser Grundgesetz?

MA: Nein. Es gibt einen Orientierungskurs von vier Wochen, 100 Stunden. Es handelt sich um
einige Regeln in Deutschland, und mehr um die politischen Bereiche in Deutschland, wie
funktioniert der Bundestag, und wie sind die Wahlen in Deutschland, und auch um die
Geschichte Deutschlands. Menschenrechte oder Grundgesetz werden nicht beigebracht.
Stattdessen wird in den Integrationskursen gesagt: Deutschland braucht euch. Es wurde
gelehrt, Deutschland brauche Migration, die Deutschen werden immer älter, die Rentenkasse
kann nicht mehr bezahlen. Deshalb braucht Deutschland die Migranten. Daher kommt auch die
Anspruchshaltung.

VR: Ja, nicht sehr klug, jemandem, mit dem man verhandelt, zu sagen, dass man ihn braucht.

MA: Dazu kommt, dass die meisten Leute, die in die Integrationskurse gehen, nicht wirklich an
der Sprache interessiert sind. Sie möchten einfach irgendwie die C1 – Prüfung bestehen. Denn
mit einem C1-Zertifikat könnte man einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland erhalten. So
wird es in Facebook-Gruppen weiterverbreitet. Und den meisten Privatschulen geht es darum,
Geld zu verdienen und Kunden zu gewinnen. Deshalb ist es egal, was oder wie die Leute
lernen.

VR: Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ganz viele Grundgesetze auf Arabisch
drucken lassen. Deswegen dachte ich, es würde viel getan, um unser Grundgesetz bekannt zu
machen.

MA: Ja, aber so ein so Buch liest sich nicht von selber. Wenn es keine echte Strafe bei
Verstößen gibt, wenn die Straftat immer durch Traumatisierung und Kulturunterschiede
relativiert wird, dann kann Integration nicht gelingen.

VR: Kulturrelativismus nennt man das, glaube ich, wenn man dafür Verständnis hat, dass sich
jemand an wichtige Regeln nicht hält, weil er von einer anderen Kultur kommt.

MA: Manche Dinge sollten eigentlich selbstverständlich sein, zum Beispiel durch die Erziehung.
Doch viele Geflüchtete haben manches schon so sehr verinnerlicht, dass man mit Erklären nicht
viel bewirken kann. Außerdem werden die sogenannte Kultur und die Traditionen der
Neuankömmlinge mehr geschützt. Im Gegensatz dazu ist die deutsche Persönlichkeit
überhaupt nicht zu erkennen.

VR: Wenn ich das fragen darf, Syrien hat lange Zeit vor diesem Konflikt auch viele Flüchtlinge
aufgenommen. Hat Syrien als ein säkularer ausgerichteter mehrheitlich islamischer Staat da bei
der Integration vielleicht manche Dinge besser gemacht, von denen wir lernen können?

MA: Für uns stand die Sicherheit an erster Stelle. Ein wichtiger Grund, warum das
Zusammenleben funktioniert hat, war, dass die Regierung konsequent gegen
fundamentalistische Ansichten und radikale Gruppierungen vorgegangen ist. Dazu gehört die
Muslimbruderschaft. Sie ist seit langem nicht nur bei uns in Syrien verboten, sondern auch in
Ägypten war sie z. B. lang untersagt. Wir haben in Syrien viele Gesellschaften mit
unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen, etwa die Trennung zwischen Männern und Frauen,
die in manchen Kulturen stark ausgeprägt ist. Dennoch war gegenseitige Toleranz vorhanden.
Da Syrien von islamischen Ländern umgeben ist, stand es immer unter dem Einfluss
verschiedener Strömungen des Islam. Erst als das „islamische Erwachen“ in Saudi-Arabien ab
1970 stattfand, griff diese Stimmung auf uns über, sodass man sich nicht mehr gegenseitig
toleriert hat. „Islam ist die Lösung“, wurde propagiert. Und die Zugehörigkeit zu einem
muslimischen Leiter ist viel stärker als zur Staatsbürgerschaft. In Saudi-Arabien werden viele
Imame ausgebildet. Und sie haben in Syrien gepredigt. In etlichen Gesellschaften, wo die
Bildung fehlt, wurden die Leute ganz schnell radikalisiert. Im besten Fall wurde ein Mensch dort
toleriert, aber nicht akzeptiert.

VR: Dann hätte Syrien die Imame besser alle selbst ausgebildet?

MA: Ja, das hat Syrien gemacht, und diese Imame waren als gemäßigt bekannt. Doch Saudi-
Arabien gilt als Zentrum in der islamischen Welt. Jedes Jahr pilgern die Muslime nach Saudi-
Arabien und kommen mit neuen Ansichten. Zudem gibt es viele Ehen zwischen Saudis und
Syrern. Viele syrische Frauen haben Saudis geheiratet, und dadurch wurden nicht nur die Frau
und die Kinder, sondern die ganze Familie und später die Umgebung wahabistisch geprägt.
Deshalb denke ich, man muss an das Problem grundsätzlich herangehen. Das Problem sind die
radikalen Ansichten, die aus Saudi-Arabien kommen und auch durch die Instrumentalisierung
der islamischen Zugehörigkeit durch die Muslimbruderschaft.

VR: Also man muss den Radikalen Grenzen setzen, damit die Intoleranz nicht gepredigt wird.
Und dadurch haben wir dann auch den geschützten Raum für die Gemäßigten, um mit den
gemäßigten Moslems in Deutschland in Frieden und Freundschaft zu leben.

MA: Die gemäßigten Moslems haben es in Deutschland schwer, denn sie werden entweder von
den Radikalen angefeindet oder als Ketzer bezeichnet, und sie werden von der großen Masse
unter Druck gesetzt, da die herrschende Strömung des Islam in Deutschland viel radikaler und
politischer als in Syrien ist. Die anderen Flüchtlinge, die zu einer Minderheitsgruppe gehören,
haben es in Deutschland noch schwerer.

VR: Ich denke, es sind in diesem Interview einige Punkte sichtbar geworden, was hier in
Deutschland verbessert werden kann. Und Sie haben auch einige wichtige Einblicke in den
Konflikt gegeben. Herzlichen Dank.

MA: Gern geschehen.



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