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Montag, 30. Juli 2012

Was wirklich geschah Teil 2- Reportage und Hintergründe von Volker Reusing (Unser-Politikblog TV) zur mündlichen Verhandlung vom 10.07.2012 zu Teilaspekten von ESM, Fiskalpakt und Art. 136 Abs. 3 AEUV – eine Inszenierung im Zeichen von Mehr Demokratie

Unser Politikblog | 30.Juli 2012

Bundesverfassungsgericht
Am 10.07.2012 fand eine mündliche Verhandlung im Bundesverfassungsgericht statt zu den Anträgen auf einstweilige Anordnung von Dr. Peter Gauweiler, von Prof. Dr. Karl-Albrecht Schachtschneider und Kollegen, vom Verein „Mehr Demokratie“, von Bundestagsabgeordneten der Linkpartei und vom Kaufmann Johannes Schorr bzgl. der Zustimmungsgesetze zu ESM, Fiskalpakt und „kleiner Vertragsänderung“ (Art. 136 Abs. 3 AEUV) sowie zum ESMFinG. Die Verfassungsbeschwerden der Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing vom 29.05.2010, vom 06.04.2012 und vom 30.06.2012 wurden dabei ausgeblendet, sodass in der mündlichen Verhandlung sowohl deren Befangenheitsantrag vom 06.07.2012 (liegt der Redaktion von Unser Politikblog vor) gegen den Berichterstatter BVR Prof. Dr. Peter Michael Huber, als auch sämtliche Einwendungen und Anträge auf einstweilige Anordnung zum Gesetz zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes und zum StabMechG unter den Tisch fielen. So wurde in der Verhandlung kein Wort darüber verloren, was man am Gesetz zur Änderung des BSchuWG als einem der beiden Begleitgesetze zum ESM erkannt hätte, dass im ESM doch das Staateninsolvenzverfahren und die Wiener Initiative enthalten sind. Auch die Tatsache, dass die Bundesregierung dem EFSF-Rahmenvertrag rechtswidrig einfach selbst anstelle des Parlaments zugestimmt hat, wurde so versteckt. Der Prüfungsmaßstab wurde auf das grundrechtsgleiche Wahlrecht (Art. 38 GG) verengt, so als hätten im Verhältnis zur EU die Einwohner Deutschlands nur das Recht, zu wählen, aber keine Grundrechte wie die auf Menschenwürde, Leben, Eigentum oder Gleichheit mehr, von den allein von Frau Hassel-Reusing i. V. m. Art. 1 Abs. 2 GG und Art. 38 GG geltend gemachten universellen Menschenrechten auf Gesundheit, Nahrung und Sozialversicherung ganz zu schweigen. Die mündliche Verhandlung vom 10.07.2012 stand ganz im Zeichen der Klagen des Vereins Mehr Demokratie.
Alle am 10.07.2012 geladenen Kläger, bis auf vielleicht Herr Schorr, argumentierten in Richtung einer Volksabstimmung über ein neues Grundgesetz, die meisten möglicherweise ohne sich bewusst zu sein, dass es den Klageanträgen von Mehr Demokratie dabei um ein Grundgesetz geht, welches bei Zustimmung des Volkes ESM und Wirtschaftsregierung dann keine Grenzen mehr setzen würde. Die Verhandlung erweckte, trotz aller kontroverser Argumente, den Eindruck, als stünde das Urteil schon fest, nämlich die Verurteilung Deutschlands, ein neues für ESM und Wirtschaftsregierung aufgebrochenes Grundgesetz zu entwerfen und das Volk dann ohne wirkliche Aufklärung, was ESM und Wirtschaftsregierung alles beinhalten, darüber abstimmen zu lassen.

Dienstag, 24. Juli 2012

Die Responsibility to Protect (Schutzverantwortung) - zum Schutz vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord - aber mit unkalkulierbaren Risiken der Umgehung des Angriffskriegsverbots

Unser Politikblog | 24.Juli 2012

Am 08.06.2012 fand bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen eine Veranstaltung mit dem Titel „Menschenrechte verantwortlich schützen – Konzept der Responsibility to protect weiterentwickeln“ statt.

Die „Responsibility to Protect“ (Schutzverantwortung) beruht auf Rn. 138 bis 140 der Resolution (Az. A/RES/60/1) der Uno-Vollversammlung zum Weltgipfel vom 16.09.2005. Sie beinhaltet, dass der Uno-Sicherheitsrat, wenn Straftaten nach dem Römischen Statut vorliegen, einen Kriegseinsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung genehmigen kann. Diese „Responsibility to Protect“ ist jedoch höchst umstritten, weil sie nirgendwo in der Uno-Charta verankert ist und in das Angriffskriegsverbot (Art. 2 Abs. 4 Uno-Charta) sowie in die Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) eingreift.

Grundsätzlich sind Resolutionen der Uno-Vollversammlung unverbindliche Absichtserklärungen. Sie sind dies nur insoweit nicht, wie die überwältigende Mehrheit der Staaten der Rechtsauffassung ist, dass sie verbindlich sind. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob am 16.09.2005 die meisten Uno-Mitgliedsstaaten überhaupt ausgerechnet diese drei Rn. 138 bis 140 verbindlich haben wollten incl. der Möglichkeit in der Uno-Charta nicht vorgesehener vom Sicherheitsrat zu genehmigender Militäreinsätze gegen Völkermord (Art. 6 Röm. Statut des IStGH), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Röm. Statut des IStGH) und anderer Verbrechen gem. dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs der Uno. Denn Rn. 139 spricht von Maßnahmen nach Kapitel VII der Uno-Charta, spricht nicht explizit von Militäreinsätzen. War den Vertretern der Staaten in dem Moment wirklich bewusst, dass mit der Bezugnahme auf Kapitel VII der Charta auch Militäreinsätze gemeint sind ?

Und wenn ausgerechnet diese 3 Rn. 138 bis 140 verbindlich gemeint gewesen sein sollten, warum dann nicht auch die folgenden, welche ebenso viele Menschenleben retten könnten:
-die Responsibility to Milleniums-Entwicklungsziele (Rn. 17) ?
-die Responsibtlity to Bekämpfung der Wüstenbildung (Rn. 56 lit. b) ?
-die Responsibility to Biodiversität (Rn. 56 lit. c) ?
-die Responsibility to Reduzierung der Müttersterblichkeit (Rn. 57 lit. h) ?

Und warum sollen ausgerechnet 3 Rn. einer einmalig erfolgten Resolution der Uno-Vollversammlung verbindlich sein, wenn andererseits laut dem IGH-Gutachten vom 08.07.1996 eine mehrfach transparent und für sich (und nicht in 3 Rn. eines langen Dokuments relativ versteckt) mit großer Mehrheit gegen den Widerstand fast allein der Uno-Vetomächte erfolgte Resolution der Vollversammlung, welche den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen verbieten wollte, kein „ius cogens“ und im dortigen Fall als Resolution der Vollversammlung allein wegen der Ablehnung durch die Veto-Mächte nicht verbindlich ist ? Das Gutachten vom 08.07.1996, das sei ergänzt, kam damals auf Grund der Genfer Konventionen des humanitären Kriegsvölkerrechts zum Ergebnis, dass der Einsatz von Atomwaffen, wenn überhaupt, dann nur zur Abwendung einer ansonsten absehbaren vernichtenden eigenen militärischen Niederlage erlaubt ist. Es scheint hier zweierlei Maß angewendet zu werden bei unterschiedlichen Resolutionen der Vollversammlung, selbst soweit diese auf die Bewahrung einer großen Zahl von Menschenleben gerichtet sind.

Unser Politikblog setzte sich bereits kritisch mit dem Konzept der „Responsibility to Protect“ auseinander in der Internet-Radio-Sendung „Libyen, Uran und Völkerrecht“ und im Beitrag „Uno-Menschenrechtsrat unter Lügenattacken zu Syrien - Spuren führen zu Rebellen und Al-Qaida-Söldnern – Welche Rolle spielt Bilderberg ?“

Selbst wenn die Responsibility to Protect verbindlich sein sollte, dürfte sie, da die Uno-Charta der höchste völkerrechtliche Vertrag ist (Art. 103 Uno-Charta), jedenfalls nicht entgegen den Vorschriften der Uno-Charta Anwendung finden, welche in Art. 2 Abs. 4 vor allem den Angriffskrieg verbietet, und welche Kriegseinsätze mit Genehmigung des Uno-Sicherheitsrats nur in den in der Uno-Charta genannten Fällen erlaubt, nämlich zur Wahrung und zur Wiederherstellung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens (Art. 39 bis 41 Uno-Charta). Nach Art. 51 Uno-Charta gehören dazu auch Beschlüsse des Sicherheitsrats zur Abwehr von Angriffskriegen. Einsätze zur Verhinderung oder zum Stop von Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind dort nicht vorgesehen, und dürften aus Sicht der Uno-Charta dann nur insoweit erlaubt sein, wie sie gleichzeitig erforderlich wären zur Wahrung der internationalen Sicherheit oder des Weltfriedens. Und das dürfte gerade bei Bürgerkriegen ohne militärische Einmischung anderer Staaten kaum der Fall sein können.
Die Responsibility to Protect schafft auch, mit dem verständlichen Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung, für die Bewertung des Uno-Strafrechts eine Parallelstruktur, welche dem Ergebnis des IStGH vorgreift, und welche das Risiko eingeht, dass sich die Bewertung hinterher durch das IStGH-Urteil als unzutreffend herausstellt. Solch ein Vorgreifen ist z. B. 2011 zu Libyen erfolgt. Um die Zivilbevölkerung im aufständischen Benghazi vor einem, angesichts der martialischen Propaganda des Gaddhafi-Regimes auch gegenüber der aufständischen Zivilbevölkerung, befürchteten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewahren, wurde vom Uno-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone genehmigt, was die Erlaubnis zum Abschießen von Kampfflugzeugen beinhaltete, aber insbesondere von Frankreich und Großbritannien massiv überdehnt wurde durch Bombardierung von libyschen Bodentruppen, Flugabwehrstellungen, zivilen Regierungsgebäuden bis hin zur Inkaufnahme der Zerstörung ziviler Gebäude wie z. B. mehrerer Krankenhäuser sowie von Wohngebäuden in Tripolis (siehe „Libyen Uran und Völkerrecht“).


Freitag, 20. Juli 2012

was wirklich geschah – Bundespräsident Gauck wartet wegen BRD-Bürgerrechtlerin



Der FAZ-Artikel „Bundesverfassungsgericht im Hauruckverfahren“ vom 22.06.2012 verrät, dass der Bundespräsident versprochen hat, auf das Bundesverfassungsgericht mit der Verkündung der Gesetze zum ESM etc. zu warten. Ein Antrag lag laut FAZ dem dem Bundesverfassungsgericht „jetzt“ (also bis incl. zur Drucklegung der FAZ vom 22.06.2012, was irgendwann am 21.06.2012 gewesen sein muss) bereits vor. Doch es gebe noch „gar keine gültige Textfassung, über welche der Zweite Senat in Karlsruhe entscheiden könnte“.

Das Gericht reagierte also, ohne eine „gültige Textfassung“ (eine vollständige Verfassungsbeschwerde) vorliegen zu haben. Aber wer hatte dem Gericht geschrieben ? Und laut FAZ soll es „ein Antrag“ gewesen sein. Es kann also nur von einer Klägerseite gekommen sein.

Weitere Hinweise gibt der Spiegel-Artikel vom 21.06.2012 „Euro-Rettungsschirm Verfassungsrichter bitten Gauck um mehr Zeit“. Demnach hatte der Bundespräsidenten dem Gericht zu dem Zeitpunkt bereits zugesagt, zu warten. „Das Gericht“, so der Spiegel, „benötige Zeit, um das umfangreiche Material zu sichten.“

Doch dann die Überraschung. Die Verfassungsbeschwerden von Mehr Demokratie umfassen nur 116 Seiten. Die Verfassungsbeschwerden der Linken sahen am 29.06.2012 im Fernsehen nach noch weniger Seiten aus.
Konnten diese wirklich mit dem „umfangreichen Material“ gemeint gewesen sein ?

Unserer Redaktion liegt inzwischen Material vor, welches beweist, dass die die Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing am 15.06.2012 und am 18.06.2012 dem Bundesverfassungsgericht sowie am 18.06.2012 dem Bundespräsidenten formlos geschrieben hatte. Sie war besorgt gewesen, weil auf der für Freitag, den 29.06.2012, auf der Tagesordnung von Bundestag und Bundesrat stehenden Zustimmungsgesetze (zu ESM, Art. 136 Abs. 3 AEUV und Fiskalpakt) und Begleitgesetze (ESMFinG und Gesetz zur Änderung des BSchuWG) standen. Anlass ihrer Schreiben war der FAZ-Artikel „Fiskalpakt Abstimmung noch vor dem EU-Gipfel“ gewesen, wonach das Inkrafttreten des ESM bereits für Sonntag, den 01.07.2012 vorgesehen war. Es deutete damit alles darauf hin, dass Bundespräsident Gauck unter gewaltigem emotionalem Druck stand, noch am 29.06.2012 zu ratifizieren.

Dass die Bürgerrechtlerin am 15.06.2012 und am 18.06.2012 ans Bundesverfassungsgericht geschrieben hat, wird bewiesen durch das Schreiben vom 26.06.2012 unter Az. AR 4286/12. Unter „AR“ werden auch Vor-gänge verfügt, bei denen es sich nicht um Verfassungsbeschwerden handelt.
Und um „umfangreiches Material“ handelt es sich tatsächlich., denn am 30.06.2012 reichte sie 6 Verfassungsbeschwerden ein, darin allein 28 Anträge (9 gegenüber dem Bundespräsidenten und 19 gegenüber Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat) auf einstweilige Anordnung und 34 ½ Seiten zur Rechtsfortbildung. Das Az. dazu (2 BvR 1445/12) wurde mit Schreiben vom 05.07.2012 vergeben.

In Abschnitt I.2 der Eilanträge auf einstweilige Anordnung gegenüber Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ist auch ein offensichtlich dem tatsächlichen Klageziel von Mehr Demokratie zum Aufbrechen des Grundgesetzes für ESM und Wirtschaftsregierung (siehe Artikel von Unser Politikblog vom 09.07.2012) entgegen gesetzter Antrag, in welchem es um die Untersagung der Initiierung und der Entscheidung über ein neues Grundgesetz geht.

Quellen:

FAZ-Artikel „Fiskalpakt Abstimmung noch vor dem EU-Gipfel“ vom 14.06.2012

Spiegel-Artikel „Euro-Rettungsschirm Verfassungsrichter bitten Gauck um mehr Zeit“ vom 21.06.2012

FAZ-Artikel „Bundesverfassungsgericht im Hauruckverfahren“ vom 22.06.2012
www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundesverfassungsgericht-im-hauruckverfahren-
11796028.html






am 30.06.2012 eingereichte Verfassungsbeschwerden (2 BvR 1445/12)
http://netzwerkvolksentscheid.de/wp-content/uploads/2012/07/Klage-Hassel-Reusing-komplett.pdfhttp://netzwerkvolksentscheid.de/wp-content/uploads/2012/07/Klage-Hassel-Reusing-komplett.pdf






Donnerstag, 19. Juli 2012

Troika setzt Gesundheit von Schwangeren und Patienten aufs Spiel - Interview mit Sonia Mitralias zur Lage in Griechenland


Im Gegenzug zur Unterstützung der EFSF (2. Stufe des sog. „Euro-Rettungsschirm“ zum Schuldenschnitt im März 2012 wurden die Auflagen der Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB deutlich verschärft (in deutscher und englischer Sprache zu finden im „Memorandum of Understanding“ unter Bundestagsdrucksache 17/8731). Die Sparmaßnahmen will die Troika vor allem im Bereich der Sozialversicherung und bei den Behörden und erst an dritter Stelle im völlig überdimensionierten griechischen Militärhaushalt. Die Troika verlangt sogar, dass die griechischen Staatseinnahmen über ein Sperrkonto laufen müssen, aus dem vorrangig die Gläubiger des Staates zu bedienen sind. Die Folgen sind dramatisch, von Hunger über untragbare Selbstzahlungen bei Medikamenten und selbst bei Entbindungen. Die Gesundheit von Schwangeren und Kindern wird von der Troika aufs Spiel gesetzt, damit Gläubigerbanken, die sich anmaßend „die Märkte“ nennen, nicht nervös werden. Und 2014 soll Griechenland auch noch einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften vor allem auf Kosten des Sozialen.
Die griechische Journalistin Sonia Mitralias informiert im Gespräch mit Unser Politikblog über die Folgen der in 2012 verschärften Auflagen, die wie beim IWF jegliches menschliche Maß verloren haben, für die Bevölkerung. Und nach Inkrafttreten von ESM und Fiskalpakt will man solch einen Sozialabbau für alle Staaten der Eurozone, sogar eu-primärrechtlich verankert über Art. 136 Abs. 3 S. 2 AEUV.

Montag, 9. Juli 2012

Sturmangriff auf Grundgesetz und Menschenwürde im Namen von mehr Demokratie

Unser Politikblog | 9.Juli 2012

Die Aktion „Volksentscheid – sonst klagen wir“ erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, sie wollte unser Grundgesetz vor ESM, „kleiner Vertragsänderung“ (Art. 136 Abs. 3 AEUV) und Fiskalpakt schützen. Politiker, die den ESM ablehnen, wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Frank Schäffler (siehe Phönix-Liveübertragung der Bundestagsdebatte zum ESM vom 29.06.2012), der Landesverband Berlin der Piratenpartei und sogar ganze Parteien wie die ÖDP und die Freien Wähler unterstützen die Aktion.

Mehr Demokratie erweckt dabei den Eindruck, eine bundesweite Volksabstimmung über ESM und Fiskalpakt zu wollen. Denn auf deren Kampagnenwebseite heißt es unter der Überschrift
Volksentscheid – sonst klagen wir !“ folgendermaßen:

Die Euro- & Staatsschuldenkrise droht zu einer Krise der Demokratie zu werden. Parlamente werden zunehmend entmachtet, immer mehr Kompetenzen & Entscheidungen auf die höhere Ebene verlagert. Wir fordern, dass die Bevölkerung in bundesweiten Volksentscheiden über ESM- und Fiskalvertrag abstimmen kann sowie einen Konvent zur Zukunft der EU. Nachdem Bundestag und Bundesrat am 29.06.2012 beiden Verträgen zustimmten, hat unser Bündnis beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung und eine Klageschrift eingereicht. Da uns weiter täglich Hunderte von Vollmachten erreichen, sammeln wir weiter.

Was bei der Aussage, die EU wäre eine „höhere Ebene“ aus dem Blick gerät, ist dass nach dem Lissabon-Urteil, besonders deutlich sichtbar in dessen Leitsatz 4, zumindest die Verfassungsidentität des Grundgesetzes über dem gesamten EU-Recht (incl. des EU-Primärrechts, also der grundlegenden Verträge der EU) steht. Und zu dieser Verfassungsidentität des Grundgesetzes gehören in erster Linie die Strukturprinzipien (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatsgebot und Föderalismus) sowie die Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte und abgeleiteten Grundrechte. Dabei sind die Strukturprinzipien und das Grundrecht auf Menschenwürde als Ganzes unantastbar (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 79 Abs. 3 GG, Rn. 216+217 Lissabonurteil, die übrigen Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte mit ihrem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) unantastbar. An zweiter Position der Rangfolge stehen laut dem Lissabonurteil die Staatsaufträge Friedensgebot (Art. 1 Abs. 2 GG) und europäische Integration (Art. 23 GG), wovon das Friedensgebot, da es in Art. 1 GG steht, auch unantastbar ist. Danach erst folgt das EU-Primärrecht (bis auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP, die vom Rang normales Völkerrecht geblieben ist) noch vor dem Rest des Grundgesetzes.

Die eigentliche Irreführung ist jedoch, die Behauptung von Mehr Demokratie, es ginge um Volksabstimmungen über ESM und Fiskalpakt. Dieser Eindruck wird auf den ersten Blick auch unterstützt insbesondere durch die Begründung der Klagen, soweit es um die Eingriffe in das im grundrechtsgleichen Wahlrecht (Art. 38 GG) verwurzelte Haushaltsrecht und um die weitgehende Entmachtung der Parlamentarier geht. Vielen Aussagen der Begründung hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit von ESM und Fiskalpakt würden wir, für sich genommen, zustimmen, wenngleich die Klagen von Mehr Demokratie auch entscheidendste Punkte, wie insbesondere die Verletzung der Menschenwürde und der universellen sozialen Rechte, übersehen.

Dass man diesen Eindruck erweckt hat, „eine bundesweite Volksabstimmung über ESM und Fiskalpakt“ zu wollen, zeigt sich auch an einem Schreiben, welches die ÖDP an ihre Mitglieder gesandt hat, und welches der Redaktion von Unser Politikblog vorliegt.
Der Bundesvorstand der Ökodemokraten wirbt dabei um Spenden für die Aktion von Mehr Demokratie. Allein die Ökodemokraten wollen dabei aus ihren Reihen Spenden von 10.000,- € für diesen Zweck zusammen bekommen. Der Bundesvorstand der Ökodemokraten begründet seine Unterstützung für die Kampagne damit, dass der ESM Deutschland „mit mehreren hundert Milliarden Euro“ belastet und Deutschland „seiner Haushaltsrechte“ beraube. Geringverdiener, Familien und Rentner wären vor allem die Leidtragenden der zu erwartenden Kürzungen zur Aufbringung der deutschen Mittel für den ESM. Außerdem wird eine Aussage der deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zitiert, wonach sie eine marktkonforme Anpassung der parlamentarischen Mitbestimmungsrechte anstrebe. Das zu verhindern, und der Gier von Menschen Grenzen zu setzen, sind weitere Motivationen der ökogemokratischen Führungsspitze für die Unterstützung der Kampagne.


worauf Mehr Demokratie wirklich klagt

Doch in Wirklichkeit enthalten die Klageanträge das Gegenteil von dem, was Ökodemokraten, Freiwähler, Piraten die Mehrzahl der Mehr Demokratie – Anhänger und all die anderen gutmeinenden Unterstützer der Aktion sich erhoffen. Denn das entscheidende an einer Verfassungsbeschwerde ist das, was dort beantragt wird.
Denn da heißt es in den Klageanträgen in Abschnitt „5. Rechtsfolgen Art. 146 GG“ auf S. 102 der Verfassungsbeschwerden von Mehr Demokratie:

Mit der Zustimmung zur Errichtung des ESM, zur Änderung des AEUV und zum Fiskalpakt überschreitet der verfassungsändernde Gesetzgeber die Grenzen seiner Integrationsbefugnisse. Damit ist die verfassungsgebende Gewalt des Souveräns, also des Staatsvolks gefordert. Den Weg für die Anrufung des Souveräns eröffnet Art. 146 GG. Wenn wesentliche Integrationsschritte nicht mehr von den Befugnissen des verfassungsgebenden Gesetzgebers getragen werden, dann hat der pouvoir constituant des deutschen Volkes im Wege einer neuen Verfassung darüber zu befinden. Dies bedeutet nicht etwa zwingend eine vollständige Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue Verfassung. Vielmehr würde eine die hier in Frage stehenden Integrationsschritte rechtfertigende Verfassung auch dann gegeben, wenn das Grundgesetz um Bestimmungen ergänzt wird, die zum Eintritt in eine bundesstaatsähnliche Fiskalunion ermächtigen.

Der Hohe Senat wir ersucht, die dahingehende Verpflichtung der gesetzgebenden Körperschaften auszusprechen.“

Es gibt, entgegen der expliziten Behauptung von Mehr Demokratie unter der Überschrift „Volksentscheide – sonst klagen wir!“, man wolle Volksentscheide über ESM und Fiskalpakt, also gar keinen Klageantrag von denen auf Volksabstimmungen über die Zustimmung zu ESM und Fiskalpakt. Stattdessen will man darüber abstimmen lassen, sämtlichen Schutz, den das Grundgesetz gegenüber diesen bietet, durch eine Volksabstimmung aufbrechen zu lassen.
Man erweckt gezielt den Eindruck, uns schützen zu wollen, um tatsächlich uns darüber abstimmen zu lassen, allen Schutz, den uns das Grundgesetz vor diesen Verträgen bietet, aufzugeben.

Was der Verein Mehr Demokratie hier anstrebt, ist, sämtliche Schutzmechanismen des Grundgesetzes, welche ESM, Fiskalpakt Art. 136 Abs. 3 AEUV und ESMFinG Grenzen setzen, gegenüber genau diesen Mechanismen zu schleifen, indem die Ewigkeitsgarantie unter einen Vorbehalt gegenüber diesen Mechanis-men gestellt wird.

Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Peter Michael Huber ist wegen der Schwerpunkte Europarecht und Völkerrecht (als Nachfolger von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio) Berichterstatter der Verfahren zu ESM, Fiskalpakt, Art. 136 Abs. 3 AEUV etc., und er hat auch eine von drei Stimmen in der 3. Kammer (dort zusammen mit BVRin Prof. Dr. Lübbe-Wolff und BVRin Dr. Kessal-Wulf) des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts, welcher über die Annahme zur Entscheidung der betreffenden Verfassungsbeschwerden zu befinden hat.
Schockierenderweise hatte ausgerechnet BVR Prof. Dr. Peter Michael Huber in dem am 19.09.2011 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Interview „keine europäische Wirtschaftsregierung ohne Änderung des Grundgesetzes“ über die Öffnung der Grundgesetzes für eine „supranationale Wirtschaftsregierung“ nachgedacht. Er stellte sich dies vor in der Form einer durch eine Volksabstimmung im Sinne von Art. 146 GG zu legitimierenden neuen Verfassung für Deutschland, welche im Vergleich zum Grundgesetz nur wenige Änderungen von Art. 23 GG und von der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) bräuchte in der Form, dass man diese unter den Vorbehalt einer europäischen Wirtschaftsregierung stellen würde. Gleichzeitig stellte er fest, dass das „in der Sache“ eine „Revolution“ wäre.
Die Klagen von „Mehr Demokratie“ machen sich nun, aus welchen Interessen und aus wessen Interessen auch immer, auf, die von ihm damals angedachte „Revolution“ gegen die Ordnung des Grundgesetzes durchzusetzen. Dabei ist Mehr Demokratie sogar noch revolutionärer, da sie das Aufbrechen der Ewigkeitsgarantie zusätzlich auch noch für den ESM wollen, und dass sie dies per Verfassungsbeschwerde durchsetzen wollen, obwohl doch gerade die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts für den Schutz des Grundgesetzes zuständig sind, und nicht dafür, das Volk darüber abstimmen zu lassen, ob sie diesen Schutz weitestgehend aufgeben wollen, geschweige denn, eine solche Anleitung zum Sturm auf das Grundgesetz geben zu dürfen.

Montag, 2. Juli 2012

Es ist vollbracht – weitere sechs Verfassungsbeschwerden eingereicht Bürgerrechtlerin stellt ESM und Wirtschaftsregierung auf den Prüfstand

Unser Politikblog | 2.Juli 2012

Unser Politikblog | Bundesverfassungsgericht

Nach über zwei Jahren, genauer gesagt 772 Tagen, harter Vorarbeit hat die Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing aus Wuppertal am 30.06.2012 um 0.25 Uhr weitere sechs Verfassungsbeschwerden mit insgesamt 718 Seiten in Karlsruhe eingereicht. Unser herzlichster Dank geht an alle, die uns für dieses epochale Werk unterstützt haben, insbesondere die alternativen Medien, Blogger und Aktivisten, die über uns berichtet und uns über aktuelle für die Klagen wichtigen Geschehnisse auf dem laufenden gehalten haben, sowie an unsere Freunde und Verwandten, für die wir in den letzten zwei Jahren wenig Zeit gehabt haben. Die neuen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Zustimmungsgesetze zum Fiskalpakt, zur „kleinen Vertragsänderung“ (Art. 136 Abs. 3 AEUV) und zum ESM-Vertrag, gegen die beiden Begleitgesetze zum ESM (ESMFinG und Gesetz zur Änderung des BSchuWG) sowie gegen die zweite Änderungsfassung des StabMechG. Gegen die ursprüngliche Fassung und gegen die erste Änderungsfassung wurden bereits zu früheren Zeitpunkten Verfassungsbeschwerden eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Das StabMechG ist das Gesetz zur EFSF, der zweiten Stufe des „Euro-Rettungsschirms“ Die „kleine Vertragsänderung“ enthält zwei Sätze Gummivorschrift, oder vornehm „Blankettermächtigung“. Der erste Satz ermächtigt zu immer neuen Mechanismen innerhalb und außerhalb des EU-Rechts zur Sicherung der „Finanzstabilität“ des Finanzsektors, darunter vor allem der Großbanken – entsprechend der „too big to fail“ - Hypothese der Weltbank. Der zweite Satz verlangt strenge Auflagen; gemeint sind Auflagen mit einer der Praxis des Internationalen Währungsfonds (IWF) entsprechenden Strenge, die vor allem auf die sozialen Grund- und Menschenrechte der Einwohner der Schuldnerstaaten ignoriert. Bisher will man vor allem zwei Gruppen von Mechanismen an die „kleine Vertragsänderung“ anknüpfen lassen: den europäischen Finanzierungsmechanismus (mit Griechenlandhilfe als Testversion und danach EFSM, EFSF und ESM) und die EU-Wirtschaftsregierung (mit Fiskalpakt, Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, Ungleichgewichtsverfahren, haushaltsmäßiger Überwachung und Instrumentalisierung der EU-Fördermittel)
Beim europäischen Finanzierungsmechanismus erhalten Staaten vor allem mit akuten Liquiditäts- problemen und Staaten, in denen Großbanken Rekapitalisierungsprobleme haben, Finanzhilfen, für welche diese von der „Troika“ aus EU-Kommission, IWF und EZB entworfene iwf-artig strenge Auflagen zu erfüllen haben. Beim ESM kommen noch hinzu dessen besondere Intransparenz, und dass in diesem die „Wiener Initiative“ und das Staateninsolvenzverfahren enthalten sind, worin auch noch die privaten Gläubiger dem jeweiligen Schuldnerland politische Auflagen machen können. Außerdem gibt es Geld vom ESM selbst erst, wenn zuvor alle Ersparnisse von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung für die Gläubiger eingesetzt worden sind („rigorose Schuldentragfähigkeitsanalyse“).