Am 08.06.2012 fand bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen eine Veranstaltung mit dem Titel „Menschenrechte verantwortlich schützen – Konzept der Responsibility to protect weiterentwickeln“ statt.
Die „Responsibility to Protect“
(Schutzverantwortung) beruht auf Rn. 138 bis 140 der Resolution (Az.
A/RES/60/1)
der Uno-Vollversammlung zum Weltgipfel vom 16.09.2005. Sie
beinhaltet, dass der Uno-Sicherheitsrat, wenn
Straftaten nach dem Römischen Statut vorliegen, einen Kriegseinsatz
zum Schutz der Zivilbevölkerung genehmigen kann. Diese
„Responsibility to Protect“ ist jedoch höchst umstritten, weil
sie nirgendwo in der Uno-Charta verankert ist und in das
Angriffskriegsverbot (Art. 2 Abs. 4 Uno-Charta) sowie in die
Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) eingreift.
Grundsätzlich
sind Resolutionen der Uno-Vollversammlung unverbindliche
Absichtserklärungen. Sie sind dies nur insoweit nicht, wie die
überwältigende Mehrheit der Staaten der Rechtsauffassung ist, dass
sie verbindlich sind. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob am
16.09.2005 die meisten Uno-Mitgliedsstaaten überhaupt ausgerechnet
diese drei Rn. 138 bis 140 verbindlich haben wollten incl. der
Möglichkeit in der Uno-Charta nicht vorgesehener vom Sicherheitsrat
zu genehmigender Militäreinsätze gegen Völkermord (Art. 6 Röm.
Statut des IStGH), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Röm.
Statut des IStGH) und anderer Verbrechen gem. dem Römischen Statut
des Internationalen Strafgerichtshofs der Uno. Denn Rn. 139 spricht
von Maßnahmen nach Kapitel VII der Uno-Charta, spricht nicht
explizit von Militäreinsätzen. War den Vertretern der Staaten in
dem Moment wirklich bewusst, dass mit der Bezugnahme auf Kapitel VII
der Charta auch Militäreinsätze gemeint sind ?
Und
wenn ausgerechnet diese 3 Rn. 138 bis 140 verbindlich gemeint gewesen
sein sollten, warum dann nicht auch die folgenden, welche ebenso
viele Menschenleben retten könnten:
-die
Responsibility to Milleniums-Entwicklungsziele (Rn. 17) ?
-die
Responsibtlity to Bekämpfung der Wüstenbildung (Rn. 56 lit. b) ?
-die
Responsibility to Biodiversität (Rn. 56 lit. c) ?
-die
Responsibility to Reduzierung der Müttersterblichkeit (Rn. 57 lit.
h) ?
Und
warum sollen ausgerechnet 3 Rn. einer einmalig erfolgten Resolution
der Uno-Vollversammlung verbindlich sein, wenn andererseits laut dem
IGH-Gutachten vom 08.07.1996 eine mehrfach transparent und für sich
(und nicht in 3 Rn. eines langen Dokuments relativ versteckt) mit
großer Mehrheit gegen den Widerstand fast allein der Uno-Vetomächte
erfolgte Resolution der Vollversammlung, welche den Einsatz von
Atomwaffen unter allen Umständen verbieten wollte, kein „ius
cogens“ und im dortigen Fall als Resolution der Vollversammlung
allein wegen der Ablehnung durch die Veto-Mächte nicht verbindlich
ist ? Das Gutachten vom 08.07.1996, das sei ergänzt, kam damals auf
Grund der Genfer Konventionen des humanitären Kriegsvölkerrechts
zum Ergebnis, dass der Einsatz von Atomwaffen, wenn überhaupt, dann
nur zur Abwendung einer ansonsten absehbaren vernichtenden eigenen
militärischen Niederlage erlaubt ist. Es scheint hier zweierlei Maß
angewendet zu werden bei unterschiedlichen Resolutionen der
Vollversammlung, selbst soweit diese auf die Bewahrung einer großen
Zahl von Menschenleben gerichtet sind.
Unser
Politikblog setzte sich bereits kritisch mit dem Konzept der
„Responsibility to Protect“ auseinander in der
Internet-Radio-Sendung „Libyen, Uran und Völkerrecht“ und im
Beitrag „Uno-Menschenrechtsrat
unter Lügenattacken zu Syrien - Spuren führen zu Rebellen und
Al-Qaida-Söldnern – Welche Rolle spielt Bilderberg ?“
Selbst
wenn die Responsibility to Protect verbindlich sein sollte, dürfte
sie, da die Uno-Charta der höchste völkerrechtliche Vertrag ist
(Art. 103 Uno-Charta), jedenfalls nicht entgegen den Vorschriften der
Uno-Charta Anwendung finden, welche in Art. 2 Abs. 4 vor allem den
Angriffskrieg verbietet, und welche Kriegseinsätze mit Genehmigung
des Uno-Sicherheitsrats nur in den in der Uno-Charta genannten Fällen
erlaubt, nämlich zur Wahrung und zur Wiederherstellung der
internationalen Sicherheit und des Weltfriedens (Art. 39 bis 41
Uno-Charta). Nach Art. 51 Uno-Charta gehören dazu auch Beschlüsse
des Sicherheitsrats zur Abwehr von Angriffskriegen. Einsätze zur
Verhinderung oder zum Stop von Verbrechen wie Völkermord und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind dort nicht vorgesehen, und
dürften aus Sicht der Uno-Charta dann nur insoweit erlaubt sein, wie
sie gleichzeitig erforderlich wären zur Wahrung der internationalen
Sicherheit oder des Weltfriedens. Und das dürfte gerade bei
Bürgerkriegen ohne militärische Einmischung anderer Staaten kaum
der Fall sein können.
Die
Responsibility to Protect schafft auch, mit dem verständlichen Ziel
des Schutzes der Zivilbevölkerung, für die Bewertung des
Uno-Strafrechts eine Parallelstruktur, welche dem Ergebnis des IStGH
vorgreift, und welche das Risiko eingeht, dass sich die Bewertung
hinterher durch das IStGH-Urteil als unzutreffend herausstellt. Solch
ein Vorgreifen ist z. B. 2011 zu Libyen erfolgt. Um die
Zivilbevölkerung im aufständischen Benghazi vor einem, angesichts
der martialischen Propaganda des Gaddhafi-Regimes auch gegenüber der
aufständischen Zivilbevölkerung, befürchteten Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu bewahren, wurde vom Uno-Sicherheitsrat eine
Flugverbotszone genehmigt, was die Erlaubnis zum Abschießen von
Kampfflugzeugen beinhaltete, aber insbesondere von Frankreich und
Großbritannien massiv überdehnt wurde durch Bombardierung von
libyschen Bodentruppen, Flugabwehrstellungen, zivilen
Regierungsgebäuden bis hin zur Inkaufnahme der Zerstörung ziviler
Gebäude wie z. B. mehrerer Krankenhäuser sowie von Wohngebäuden in
Tripolis (siehe „Libyen Uran und Völkerrecht“).
Der
Uno-Sicherheitsrat bekräftigte in Rn. 4 seiner Resolution 1674
(2006) vom 28.04.2006 zum Schutz von
Zivilisten in bewaffneten Konflikten auch die
Responsibility to Protect.
Uno-Generalsekretär
Ban Ki Moon schließlich legte am 12.01.2009 der Uno-Vollversammlung
einen Bericht zur Responsibility to Protect vor. In Rn. 4 nahm er
bezug auf die Resolution des Sicherheitsrats. In Rn. 8 seines
Berichts verwies er auf den Vertrag vom 11.07.2000 zur Gründung der
Afrikanischen Union, in dessen Art. 4 lit. g ausdrücklich den
AU-Mitgliedsstaaten die gegenseitige Einmischung in ihre inneren
Angelegenheiten verboten ist, gleichzeitig aber die AU als solche
ermächtigt wird, in Fällen von Kriegsverbrechen, Völkermord und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu intervenieren.
Wenn
Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon den Gründungsvertrag der
Afrikanischen Union als vorbildlich ansieht, und wenn er sich so
sicher gewesen ist, dass wirklich die meisten Uno-Mitgliedsstaaten
die Verbindlichkeit der Rn. 138 bis 140 der Resolution der
Vollversammlung zum Weltgipfel 2005 gewollt haben, warum hat er dann
nicht wenigstens eine eindeutige und rechtsklare Änderung der
Uno-Charta nach dem Vorbild der AU-Gründungsakte angestrebt und
abgewartet, bevor er seine Vorschläge zur Umsetzung der
Responsibility to Protect gemacht hat ?
Art.
10 lit. a seines Berichts verrät, dass er das Spannungsverhältnis
zwischen Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) und
Responsibility to Protect dadurch aufzulösen versucht, dass er die
RtP in den Begriff der Souveränität hinein interpretiert als Teil
der zur Souveränität gehörenden Verantwortung. Dabei sieht er dit
RtP als Beitrag zur Verhinderung von Staatsscheitern.
Art.
10 lit. b seines Berichts wendet sich gegen Versuche, die RtP „auf
andere Probleme wie HIV/Aids, den Klimawandel oder Maßnahmen bei
Naturkatastrophen auszudehnen“, denn das „würde den Konsens von
2005 untergraben und den Begriff bis zur Unkenntlichkeit oder
praktischen Unbrauchbarkeit verwässern“. Durch die Abgrenzung
gegenüber noch weiter gehenden Positionen präsentiert er seine
Position als moderat und postuliert gleichzeitig einen Konsens nicht
nur über die Resolution zum Weltgipfel 2005, sondern auch über die
Verbindlichkeit von deren Rn. 138 bis 140. Nach Rn. 71 seines
Berichts wurde die Resolution zum Weltgipfel 2005 insgesamt sogar im
Konsens der Regierungschefs beschlossen – was aber noch nichts
darüber aussagt, ob und inwieweit welche Teile der Resolution von
den Regierungen jeweils als „ius cogens“ und damit als
verbindlich angesehen worden sind und werden.
Das
Konzept des Uno-Generalsekretärs zur RtP sieht, aufbauend auf Rn.
138 + 139 der Resolution zum Weltgipfel 2005, ein Drei-Säulen-Modell
vor. In erster Linie sind alle Staaten selbst verpflichtet,
Verbrechen nach Römischen Statut auf ihrem Hoheitsgebiet zu
verhindern (erste Säule). Wo dies nicht reicht, ist den Staaten
seitens der Uno Unterstützung in vielfältigster Form zur Verfügung
zu stellen (zweite Säule). Erst wo das nicht ausreicht, sieht das
Konzept Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen bis hin zu vom
Uno-Sicherheitsrat zu beschließenden Militäreinsätzen vor (dritte
Säule).
Sehr
positiv ist dabei die konkrete Aufnahme zahlreicher unterstützender
Maßnahmen, damit es gar nicht erst zu Verbrechen wie Völkermord
kommen kann, aber den Hauptmangel, nämlich die Schaffung von
Mechanismen der Uno, welche Militäreinsätze beinhalten können, am
ordnungsgemäßen Verfahren zur Änderung der Uno-Charta vorbei,
können auch noch so viele friedliche präventive Maßnahmen nicht
heilen.
In
Rn. 10 lit. d seines Berichts betont der Uno-Generalsekretär die
Bedeutung vollständiger und unparteiischer Informationen gegenüber
den Vereinten Nationen, damit die RtP nicht selektiv angewendet wird.
Am
07.10.2009 nahm die Uno-Vollversammlung den Bericht des
Generalsekretärs zur Kenntnis und beschloss, das Thema weiter zu
behandeln (Az. A/RES/63/308). Wie ein weltweiter Konsens, dass die
RtP verbindlich sei, sieht das nicht aus.
Bei
der Veranstaltung am 08.06.2012 ging es ach um einen Antrag der
grünen Bundestagsfraktion vom 09.05.2012 (Drucksache 17/9584),
welchem es um eine Entschließung des Bundestags geht, in welcher die
deutsche Bundesregierung aufgefordert werden soll, der RtP mehr
Gewicht zu geben.
Dabei
knüpfen die grünen Forderungen an das Drei-Säulen-Modell des
Uno-Generalsekretärs an und fügen eigene politische Konzepte
hinzu, auch für mehr Transparenz und für eine zeitliche Befristung
von Mandaten des Uno-Sicherheitsrats, um eine Mandatsüberschreitung
wie beim Krieg gegen Libyens Gaddhafi-Regierung zu verhindern.
Unser
Politikblog sprach am 08.06.2012 mit Dr. Louise Arbour, ehemaliger
Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte und heute Präsidentin der
Denkfabrik „International Crisis Group“ sowie mit Kerstin Müller,
der außenpolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.
Frau
Dr. Arbour war 1999 Chefanklägerin des internationalen Tribunals
für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Man möchte ihr
persönlich abnehmen, dass sie es ehrlich meint mit einem
verantwortungsvollen Umgang mit der RtP. Nur warum gehören dann zum
Board der International Crisis Group auch George Soros und Joschka
Fischer, die beiden mächtigsten Männer der Denkfabrik „European
Council on Foreign Relations“, welche wie kaum eine andere in
Europa an der Aushebelung des Angriffskriegsverbots arbeitet ?
Das
Interview mit Frau Dr. Arbour brachte die erstaunliche Erkenntnis,
dass für die Frage, ob ein Völkermord oder ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit vorliegt, der entscheidendste Punkt gar nicht die
absolute Zahl der Opfer oder deren Prozentsatz im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung ist, sondern wie planmäßig und wie vorsätzlich
die Taten verübt werden.
Gerade
das lässt aber reichlich Spielraum für Ungleichbehandlungen. In
Syrien werden sowohl der Regierung, als auch den Rebellen bzw. den
Al-Qaida-Söldnern die Tötung von Zivilisten vorgeworfen. Wenn dort
beide Seiten recht haben sollten, könnte man mit RtP ein Eingreifen
sowohl auf der Seite der syrischen Regierung, als auch auf der Seite
der syrischen Rebellen rechtfertigen. Kann das richtig sein ?
Frau
Müller ist jedenfalls im Interview der Überzeugung, dass eine RtP –
Intervention gegen die syrische Regierung niemand (außer den
Rebellen) ernsthaft will.
Unverständlich
scheint uns auch, warum es kein Völkermord im Sinne von Art. 6 lit.
c Römisches Status des IStGH und damit auch kein Fall für die RtP
sein soll, wenn Staaten es wissentlich hinnehmen, dass in ihrem
Hoheitsgebiet Menschen in großer Zahl hungern und verhungern, obwohl
sie die Mittel für die Ernährung dieser Menschen hätten, wenn sie
nur woanders, und sei es beim Schuldendienst, sparen würden, während
die aktive Tötung einer im Vergleich dazu deutlich geringeren Zahl
an Zivilisten in anderen Staaten, wie z. B. in Libyen, ein Fall für
RtP sein soll.
Unser Fazit:
Die
Responsibility to Protect ist, soweit es um den nicht–militärischen
Teil geht, ein gutes und wichtiges Instrument zur Verhinderung von
Straftaten wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Als eigenständiges Instrument zur Ermöglichung von Militäreinsätzen
am Wortlaut der Uno-Charta vorbei birgt es hingegen unkalkulierbare
Gefahren der Aushebelung des Angriffskriegsverbots. Soweit jedoch
Tatbestände der Uno-Charta wie eine Verletzung oder Gefährdung des
Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit vorliegen, scheint
es uns geboten und angemessen, das Vorliegen von Verbrechen nach dem
Römischen Statut als besonders erschwerende Fakten in die
Entscheidung des Sicherheitsrats einzubeziehen.
Links:
Antrag
der grünen Bundestagsfraktion vom 09.05.2012 (Drucksache 17/9584)
zur RtP
Uno-Menschenrechtsrat
unter Lügenattacken zu Syrien - Spuren füren zu Rebellen und
Al-Qaida-Söldnern – Welche Rolle spielt Bilderberg ?“
http://unser-politikblog.blogspot.de/2012/06/uno-menschenrechtsrat-unter.html
Unser
Politikblog - Sendung „Libyen, Uran und Völkerrecht“.
Kapitel VII der
Uno-Charta
Abschlussresolution
der Uno-Vollversammlung zum Weltgipfel 2005 (incl. Responsibility to
Protect)
IGH-Gutachten vom
08.07.1996 verneinte Verbindlichkeit der wiederholten Resolution der
Uno-Vollversammlung für ein totales Verbot des Atomwaffeneinsatzes
Resolution
1674 (2006) des Uno-Sicherheitsrats vom 28.04.2006 zum Schutz von
Zivilisten in bewaffneten Konflikten
Bericht
von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Responsibility to Protect
vom 12.01.2009 (A/63/677)
Gründungsvertrag
der Afrikanischen Union vom 11.07.2000
Resolution der
Uno-Vollversammlung vom 07.10.2009
hallo liebes team, habe heute einen teil (etwas ältere, aber auch neue videos) angesehen und musste feststellen, dass bei einem teil davon
AntwortenLöschenz.b. http://www.youtube.com/watch?v=V8MTR7O9NOo&feature=youtu.be prof fisahn interview, starbatty interview, kein ton mitgeliefert wird.
mfg martin