Unser
Politikblog | 28.06.2019
Majd Abboud hat in seinem Heimatland
Syrien als Zahnarzt gearbeitet. Heute lebt er als Flüchtling in
Deutschland. Viele kennen ihn durch die Zeitschrift Cicero oder durch
RT Deutsch.
Majd Abboud |
Im zweiten Teil des Interviews geht es
um seine Erfahrungen in Deutschland und um Handlungsbedarf in
Deutschland zur Verbesserung der Integration und zum Schutz vor
Dschihadisten und vor der Moslembruderschaft.
VR: Ich würde jetzt gerne zu Ihren
Erfahrungen hier in Deutschland kommen. Was sind Ihre
Erfahrungen mit den Anstrengungen
Deutschlands zur Integration der hier neu ankommenden
Menschen? Sie sind ja als Flüchtling
vor dem Krieg nach Deutschland gekommen.
MA: Es werden viele Fehler in der
Flüchtlingspolitik oder im Zusammenhang mit sogenannter Integration gemacht. Finanziell hat
sich Deutschland sehr bemüht, die Flüchtlinge mit dem Notwendigsten zu versorgen. Aber auch
die Chance, ein neues Leben zu führen, halte ich für einmalig und sehr wichtig. Auf
kultureller Ebene wäre eine echte Begegnung nur möglich, wenn Deutschland die Radikalen, die
Terroristen, die Dschihadisten, und auch die Leute, die nicht am Krieg teilgenommen haben, sondern nur
mit radikalen Ansichten hier ins Land eingereist sind,identifiziert und diese Mentalität
unterbindet. Das hat Deutschland bislang nicht gemacht,
sondern im Gegenteil beide Augen davor
verschlossen. Viele Leute haben Radikale oder
Erstaufnahmelager, darüber berichtet,
dass sich etliche Terroristen und Kämpfer unter den
Flüchtlingen befinden. Auch
Ehrenamtliche, die mit Flüchtlingen gearbeitet haben, berichten
andauernd, dass sich Kämpfer von IS,
Al Nusra oder der Freien Syrischen Armee (FSA) hier in
Deutschland befinden. Und das wird
einfach nicht zur Kenntnis genommen, sondern ignoriert.
Es fehlt der politische Wille, diesen
Schritt zu gehen. Wenn man diese Leute hier in
Deutschland bestraft, dann werden sie
ja nicht weiter in Syrien kämpfen. Diese Leute sind die
Partner des Westens in Syrien. Sie
kämpfen, um Assad zu stürzen. Und genau das will der
Westen. Das gefährdet jedoch nicht nur
den Frieden des Landes, sondern auch den Aufenthalt
derer, die sich integrieren wollen.
VR: Ich kann mich erinnern, es gab
vereinzelt durchaus Prozesse. Zum Beispiel in Baden-
Württemberg gegen jemanden, der sich
Ahrar al Sham angeschlossen haben soll. Ich meine,
dass jemand sich einer Terrorgruppe
angeschlossen hat, selbst wenn er dort darüber hinaus
nichts angestellt hat, selbst das ist
ja in Deutschland schon strafbar. Das müsste doch eigentlich
verfolgt werden.
MA: Es gibt viele Fälle. Im September
2018 wurde in Düsseldorf ein Syrer verurteilt, weil er in
Aleppo Leute gefoltert hat. Es handelte
sich um einen Anhänger der Freien Syrischen Armee
(FSA), die von den westlichen Medien so
gerne als gemäßigt bezeichnet wird. Er wurde als
Kriegsverbrecher verurteilt, da er in
Aleppo Leute zu Tode gefoltert und ermordet hat. Ich finde
es gut, dass endlich nach sieben bis
acht Jahren einige Maßnahmen ergriffen wurden, um
solche Terroristen zu identifizieren.
Aber das ist kein Einzelfall. Davon gibt es eine Menge in
Deutschland. Viele Flüchtlinge und
Ehrenamtliche berichten davon. Ich denke gerade an Abu Al
Baraa und andere Imame, die immer zum
Dschihad aufgerufen haben. Dagegen wurde nichts
unternommen. Infolgedessen sind viele
Leute aus ganz Europa ungehindert nach Syrien in den
Krieg gezogen. Ich finde es
erschreckend, dass solche Berichte in den Medien neutral gezeigt
werden. Es wird einfach darauf
hingewiesen, und es wird immer gesagt, es besteht der
Verdacht, und ja, wir beobachten. Ich
denke, das ist nicht genug. Der Verdacht drängt sich auf,
dass Länder dadurch destabilisiert
werden sollen. Der politische Islam bietet eine willkommene
Möglichkeit, Kriege zu führen, Länder
zu destabilisieren, Regierungen unter Druck zu setzen.
Deshalb wird er vom Westen unterstützt.
VR: Der politische Islam ist ja ein
anderes Wort für die Ideologie der Muslimbruderschaft.
MA: Die Muslimbruderschaft ist eine
politische islamische Organisation, die sich verschiedener
Ideologien oder Auslegungen des Islam
bedient, wenn ihr das von Nutzen ist. Der Wahabismus
ist zum Beispiel eine besondere
Auslegung des Islam und mit dem Salafismus verwandt. Er
wird in Saudi-Arabien benutzt, um das
politische System zu untermauern. Dadurch ist diese
Ideologie zu einer Regierungsform
geworden und zählt auch zum politischen Islam. Das sind
die zwei großen Strömungen des
politischen Islam in der sunnitischen islamischen Welt. Die
Muslimbruderschaft ist eine gut
rasierte Fassade, hinter der sich der IS versteckt.
VR: Vor allem, wenn sie ein globales
Kaliphat wollen, dann kann man die Kämpfer ja überall
einsetzen.
MA: Das ist eine Armee, die über die
Grenze hinaus reicht. Diese Ideologie kennt keine
Grenzen. Man geht einfach ins Internet,
sieht Videos. Am Anfang des Krieges gab es so viele
Videos auf Youtube, in denen man lernt,
wie man eine Bombe baut. Auch in Syrien habe ich
erlebt, wie schnell sich viele
Moscheebesucher radikalisiert haben.
VR: Wie können wir dem beikommen? Ich
meine, das eine ist das Strafrecht, wenn Leute
Gewalt verübt haben oder Hassreden,
Volksverhetzung begangen haben oder wenn sie sich
solchen Gruppierungen angeschlossen
haben. Aber vielleicht haben Leute solche
Gruppierungen unterstützt, ohne selbst
zu Gewalt und Hass beizutragen, und sich ihnen noch
nicht angeschlossen und noch nicht
strafbar gemacht. Wie können wir mit solchen Leuten
umgehen, wenn die hierhin kommen, damit
sie umdenken, um sie da herauszuholen?
MA: Ich denke, es ist entscheidend, die
Lehrinhalte der Moscheen zu überprüfen. Dies wird
bisher nicht getan, mit der Begründung,
das sei ja Meinungs- oder Religionsfreiheit. Aber wir
haben schon seit zwanzig Jahren die
Erfahrung gemacht, dass die Gefahr besteht, dass in den
Moscheen Leute radikalisiert und
rekrutiert werden. Und das ist äußerst gefährlich.
VR: Sie haben gerade gesagt, dass die
Muslimbruderschaft hier in Deutschland in islamischen
Räten sehr gut vertreten sei.
MA: Ja. Und in den politischen Parteien
auch. DITIB ist eine Vereinigung der
Muslimbruderschaft.
VR: Also ist sie auch in Organisationen
vertreten, wo es um Integration geht, sodass sie also
auch selber darauf Einfluss nehmen
können, was Deutschland zur Integration tut.
MA: Es gibt in jeder Stadt einen
Integrationsbeauftragten oder Entsprechendes. Und die
Moslems sind überall gut vertreten.
VR: Also, Sie meinen an zahlreichen
Orten in Integrationsgremien, ohne dass Sie jetzt konkrete
Namen nennen wollen.
MA: Schon im Flüchtlingslager war die
Islamische Gemeinde Saarland präsent. Die kamen ins
Camp und haben über die Religion eine
Zugehörigkeit geschaffen. Man kann die Leute gut mit
der Islamzugehörigkeit anlocken. Eine
große Rolle hat gespielt, dass viele Geflüchtete sich mit
der türkischen Identität, sei es
politisch oder religiös, verbunden fühlen. Und das beeinträchtigt
meiner Meinung nach die Integration.
Ich habe die Moscheen als Hindernis der Integration
empfunden– ja, natürlich kann man
eine Religion und Auffassung und Zugehörigkeit haben.
Aber ich finde es nicht richtig, dass
Religion institutionalisiert wird. Religion sollte Privatsache
bleiben und nicht institutionalisiert
werden.
VR: Also, Religion und Politik sollten
mehr getrennt sein.
MA: Genau. Außerdem muss der Islam
unbedingt reformiert werden.
VR: Im deutschen Grundgesetz gibt es ja
nur ein Grundrecht, welches voll unantastbar ist, das
ist die Menschenwürde. Und von den
anderen Grundrechten, auch von der Religionsfreiheit, ist
nur der Kern unantastbar. Also darf man
in die Religionsfreiheit eingreifen, wenn das
verhältnismäßig ist, nur nicht in
den Kern. Es ist ja dann kein Grundrechtsverstoß, wenn man
kontrolliert, was dort gepredigt wird,
solange man sie nicht an der Religionsausübung hindert.
MA: Doch viele Predigtinhalte verstoßen
gegen das Grundgesetzt, zum Beispiel, wenn in den
Moscheen zum Dschihad aufgerufen wird.
Ist das nicht gegen das Grundgesetz?
VR: Doch, natürlich.
MA: Man sieht in Saudi-Arabien und in
Katar überall Videos, in denen gegen die „Ungläubigen“
oder auch ihre Feste wie Weihnachten
und Silvester gehetzt wird. Da ist es doch berechtigt,
wenn man Angst bekommt. Ich habe
gehört, dass es eine Initiative gibt, neue Imame in
Deutschland auszubilden. Das ist auch
eine Art Kontrolle.
VR: Das hört sich doch gut an, wenn
wir die ganzen neuen Imame auch am Grundgesetz
ausbilden.
MA: Ja, das hört sich gut an, wird
aber nicht funktionieren. Erstens orientieren sich die meisten
Muslime an Saudi-Arabien, der Türkei
oder Katar, und daran, was dort gepredigt wird. Zweitens
werden viel mehr Imame dort ausgebildet
und in viele Länder geschickt. Dadurch gewinnt
Saudi-Arabien oder die Türke immer
mehr Einfluss. Außerdem denke ich, die Sache mit der
Religion ist in Deutschland immer noch
ein bisschen heikel. Und solange man nicht die Freiheit
hat, alle zu kritisieren, sowohl
Ideologien als auch Religionen (die ich zu den Ideologien rechne),
solange Kritiker als islamfeindlich
bezeichnet werden, ist die Meinungsfreiheit auch
beeinträchtigt.
VR: Sie haben gesagt, dass Deutschland
mehr tun muss, um die Dschihadisten, die nach
Deutschland gekommen sind,
herauszufiltern oder die Anhänger von deren Organisationen.
Wie könnte das denn besser gelingen
als bisher? Also einmal der politische Wille, aber wie
kann man das konkret noch besser
hinbekommen?
MA: Um die Terroristen zu
identifizieren, meinen Sie? Die Geheimdienste könnten mit den
Russen, aber auch mit der syrischen
Regierung besser zusammenarbeiten, um solche
Straftäter zu identifizieren oder um
zu wissen, wer was begangen hat. In Syrien gab es oft
Amnestie. Und nur so gelang es der
syrischen Armee, in Daraa einzumarschieren. Es gibt jetzt
ein Ministerium für Versöhnung in
Syrien. Die Leute, die die Waffen niederlegen, können normal
leben, solange sie keine schweren
Verbrechen begangen haben, also etwa Menschen getötet.
VR: Das bedeutet, dadurch hat die
syrische Regierung im Gegenzug zur Amnestie ganz viele
Daten, weiß wesentlich besser über
die Strukturen dieser Gruppen Bescheid, und könnte auch
Deutschland helfen, unsere Sicherheit
zu stärken.
MA: Natürlich. Es gab Berichte, durch
Informationsaustausch zwischen Syrien und Frankreich
konnten Attentate in Frankreich
verhindert werden. Auf der anderen Seite, denke ich,
Geheimdienste, die am syrischen Krieg
beteiligt sind und diese „Rebellengruppen“ oder die
Freie Syrische Armee unterstützt
haben, besitzen auch Namen und Listen. In der Türkei gab es
Camps an der Grenze, wo die
Gruppierungen gebildet werden. Und das könnte nicht passieren,
ohne dass der türkische Geheimdienst
Bescheid wusste. Bilder aus der Türkei zeigen Al-Nusra-
und FSA-Kämpfer aus Idlib, die sich in
der Türkei erholen.
VR: Ich habe bei Voltairenet gelesen,
dass auch Kämpfer, die in Libyen gekämpft haben, nach
dem Sturz der Regierung Gaddhafi von
Libyen in die Türkei gekommen sind und dort auf den
Einsatz in Syrien vorbereitet worden
sind. Auch da muss es Namen geben. Dieser Transport
von Kämpfern von Libyen in die Türkei
und dann nach Syrien muss vor dem IS-Angriff gewesen
sein, bevor der IS den großen Angriff
2014 gemacht hat.
MA: Man kann hier von einer Armee
sprechen, die überall einsetzbar ist. Die Namen der
Kämpfer und die Strukturen dieser
Gruppen sind selbstverständlich den Auftraggebern bekannt.
Die Gruppierungen bedeuten für mich
überhaupt nichts, zu denen diese Kämpfer gehören, sei
es IS oder Al-Nusra oder sonst
irgendeine Gruppe. Sie sind alle Islamisten für mich. Vom
Radikalismus her sind sie auf der
gleichen Stufe. Der Unterschied ist, woher sie die
Finanzierung bekommen.
VR: Und wer das militärische Kommando
gibt.
MA: Ja, wie bei jeder Söldnerarmee hat
der Geldgeber das Kommando. Die westliche Politik hat
den Politischen Islam immer als Partner
betrachtet, der die Weiterverbreitung des Kommunismus
und den Aufbau souveräner
Nationalstaaten in arabischem Raum verhindern kann. Erinnern
wie uns hier an den Kampf der
Muslimbruder in Ägypten gegen Gamal Abdel Nasser 1954-1970
oder an die partnerschaft mit den
Taliban und die begründung von Al-Qaida in Afghanistan.
VR: Wie kann allgemein ein angemessenes
Maß an Zugehen auf die Neuankömmlinge in
Deutschland zugehen? Und wo sollte es
vielleicht auch den Neuankömmlingen etwas
abfordern? Sie haben in Cicero ja auch
etwas dazu gesagt, wie ein richtiges Maß aussehen
könnte.
MA: Zuallererst sollte diese
Zusammenarbeit mit dem politischen Islam abgebrochen werden.
Diese Unterstützung, die ich als Pakt
mit dem Teufel bezeichnet habe, sollte beendet werden.
Die große Herausforderung ist, die
Flitterwochen mit den Terroristen zu beenden. Das ist
überhaupt nicht einfach, weil so viele
Kämpfer jetzt nicht nur in Deutschland, sondern in ganz
Europa sind. Und wenn man anfängt,
diese Kämpfer zu identifizieren, dann wäre es recht
gefährlich, denn man weiß nicht, wie
solche Leute reagieren. Die Regierung treibt ein ganz
gefährliches Spiel. Sie versucht, sie
irgendwie zufrieden zu stellen, dabei haben viele Leute
Angst. Die Lehrerinnen in den
Integrationskursen haben nichts zu sagen. Sie werden von den
Herren als „Nazi“ oder so etwas
bezeichnet. Die Leute, die es richtig machen wollen und das
versuchen, bekommen keine
Unterstützung. Zweitens sollte von den Flüchtlingen eine
Gegenleistung verlangt werden. Es ist
nicht richtig, dass man einen Kurs nach dem anderen
angeboten bekommt. Ob man die Prüfung
besteht oder nicht, ist egal, man bekommt auf jeden
Fall Sozialhilfe vom Jobcenter und
bekommt einen neuen Kurs oder Maßnahmen angeboten.
Viele besuchen die Kurse nur, um
gegenüber dem Jobcenter Zeit zu gewinnen. Den
Geflüchteten sollte so
unmissverständlich klar gemacht werden, dass sie auch eine
Gegenleistung zu erbringen haben.
VR: Was könnte das sein?
MA: Was man mindestens machen kann, ist
die Sprache zu erlernen und sich in die
Gesellschaft einzubringen. Einen
Zuschuss von 1.500 Euro für einen Führerschein halte ich für
ungerechtfertigt, wenn man nicht
richtig Deutsch sprechen und schreiben kann. Es wurde damit
begründet, dass man mit Führerschein
bessere Chancen auf Arbeit bekommen könnte. Aber
wie könnte man Arbeit finden, wenn man
überhaupt nicht in der Lage ist, sich ordentlich zu
bewerben?
VR: Ja, und wenn man vielleicht so
wenig Deutsch kann, dass man nicht alle Schilder im
Straßenverkehr versteht, die
Straßennamen...
MA: Moment. Die Führerscheinprüfung
wurde auf Arabisch durchgeführt.
VR: Obwohl wir deutsche Straßennamen
und deutsche Ortsnamen auf den Schildern haben?
Das sollte man vielleicht erst machen,
wenn die Leute die Deutschprüfung geschafft haben.
MA: Und auch, wenn die Prüfung auf
Arabisch abgehalten wird, wird dort geschummelt. Auch in
den Sprachprüfungen wird viel
betrogen. Davon habe ich berichtet, was mich in Schwierigkeiten
gebracht hat. Trotz des Betrugs lag die
Erfolgsquote in meinem Kurs nur bei etwa 20%. Wenn
die Leute außerdem wissen, dass sie
die Prüfung irgendwie mit Betrug schaffen können, dann
gehen sie nicht in den Unterricht,
stören die Lernatmosphäre und hindern die anderen am
Lernen. Deshalb muss natürlich auch
verlangt werden, dass sie sich an die Regeln halten.
VR: Da muss man ihnen noch die
wichtigsten Regeln beibringen.
MA: Ich denke, die Grundsätze sind den
Menschen bekannt. Dass man niemanden mit einem
Messer erstechen darf, das ist doch
klar. Ich brauche niemanden, der mir das beibringt. Oder
dass man Leute nicht schlägt oder
beschimpft, das sollte einem klar sein.
VR: Wir haben ja hier in Deutschland
ein Grundgesetz, wir haben eine EU-Grundrechtecharta,
wir haben acht Menschenrechtsverträge
von der Uno, an die wir uns gebunden haben, plus die
Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte, auch mehrere Menschenrechtsverträge vom
Europarat. Was davon wird denn bei der
Integration den Neuankömmlingen beigebracht?
Worüber werden sie informiert von den
hier geltenden Grundrechten und Menschenrechten?
MA: Davon habe ich im Integrationskurs
nichts erfahren.
VR: Nicht einmal über unser
Grundgesetz?
MA: Nein. Es gibt einen
Orientierungskurs von vier Wochen, 100 Stunden. Es handelt sich um
einige Regeln in Deutschland, und mehr
um die politischen Bereiche in Deutschland, wie
funktioniert der Bundestag, und wie
sind die Wahlen in Deutschland, und auch um die
Geschichte Deutschlands. Menschenrechte
oder Grundgesetz werden nicht beigebracht.
Stattdessen wird in den
Integrationskursen gesagt: Deutschland braucht euch. Es wurde
gelehrt, Deutschland brauche Migration,
die Deutschen werden immer älter, die Rentenkasse
kann nicht mehr bezahlen. Deshalb
braucht Deutschland die Migranten. Daher kommt auch die
Anspruchshaltung.
VR: Ja, nicht sehr klug, jemandem, mit
dem man verhandelt, zu sagen, dass man ihn braucht.
MA: Dazu kommt, dass die meisten Leute,
die in die Integrationskurse gehen, nicht wirklich an
der Sprache interessiert sind. Sie
möchten einfach irgendwie die C1 – Prüfung bestehen. Denn
mit einem C1-Zertifikat könnte man
einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland erhalten. So
wird es in Facebook-Gruppen
weiterverbreitet. Und den meisten Privatschulen geht es darum,
Geld zu verdienen und Kunden zu
gewinnen. Deshalb ist es egal, was oder wie die Leute
lernen.
VR: Die Bundeszentrale für politische
Bildung hat ganz viele Grundgesetze auf Arabisch
drucken lassen. Deswegen dachte ich, es
würde viel getan, um unser Grundgesetz bekannt zu
machen.
MA: Ja, aber so ein so Buch liest sich
nicht von selber. Wenn es keine echte Strafe bei
Verstößen gibt, wenn die Straftat
immer durch Traumatisierung und Kulturunterschiede
relativiert wird, dann kann Integration
nicht gelingen.
VR: Kulturrelativismus nennt man das,
glaube ich, wenn man dafür Verständnis hat, dass sich
jemand an wichtige Regeln nicht hält,
weil er von einer anderen Kultur kommt.
MA: Manche Dinge sollten eigentlich
selbstverständlich sein, zum Beispiel durch die Erziehung.
Doch viele Geflüchtete haben manches
schon so sehr verinnerlicht, dass man mit Erklären nicht
viel bewirken kann. Außerdem werden
die sogenannte Kultur und die Traditionen der
Neuankömmlinge mehr geschützt. Im
Gegensatz dazu ist die deutsche Persönlichkeit
überhaupt nicht zu erkennen.
VR: Wenn ich das fragen darf, Syrien
hat lange Zeit vor diesem Konflikt auch viele Flüchtlinge
aufgenommen. Hat Syrien als ein
säkularer ausgerichteter mehrheitlich islamischer Staat da bei
der Integration vielleicht manche Dinge
besser gemacht, von denen wir lernen können?
MA: Für uns stand die Sicherheit an
erster Stelle. Ein wichtiger Grund, warum das
Zusammenleben funktioniert hat, war,
dass die Regierung konsequent gegen
fundamentalistische Ansichten und
radikale Gruppierungen vorgegangen ist. Dazu gehört die
Muslimbruderschaft. Sie ist seit langem
nicht nur bei uns in Syrien verboten, sondern auch in
Ägypten war sie z. B. lang untersagt.
Wir haben in Syrien viele Gesellschaften mit
unterschiedlichen Sitten und
Gebräuchen, etwa die Trennung zwischen Männern und Frauen,
die in manchen Kulturen stark
ausgeprägt ist. Dennoch war gegenseitige Toleranz vorhanden.
Da Syrien von islamischen Ländern
umgeben ist, stand es immer unter dem Einfluss
verschiedener Strömungen des Islam.
Erst als das „islamische Erwachen“ in Saudi-Arabien ab
1970 stattfand, griff diese Stimmung
auf uns über, sodass man sich nicht mehr gegenseitig
toleriert hat. „Islam ist die
Lösung“, wurde propagiert. Und die Zugehörigkeit zu einem
muslimischen Leiter ist viel stärker
als zur Staatsbürgerschaft. In Saudi-Arabien werden viele
Imame ausgebildet. Und sie haben in
Syrien gepredigt. In etlichen Gesellschaften, wo die
Bildung fehlt, wurden die Leute ganz
schnell radikalisiert. Im besten Fall wurde ein Mensch dort
toleriert, aber nicht akzeptiert.
VR: Dann hätte Syrien die Imame besser
alle selbst ausgebildet?
MA: Ja, das hat Syrien gemacht, und
diese Imame waren als gemäßigt bekannt. Doch Saudi-
Arabien gilt als Zentrum in der
islamischen Welt. Jedes Jahr pilgern die Muslime nach Saudi-
Arabien und kommen mit neuen Ansichten.
Zudem gibt es viele Ehen zwischen Saudis und
Syrern. Viele syrische Frauen haben
Saudis geheiratet, und dadurch wurden nicht nur die Frau
und die Kinder, sondern die ganze
Familie und später die Umgebung wahabistisch geprägt.
Deshalb denke ich, man muss an das
Problem grundsätzlich herangehen. Das Problem sind die
radikalen Ansichten, die aus
Saudi-Arabien kommen und auch durch die Instrumentalisierung
der islamischen Zugehörigkeit durch
die Muslimbruderschaft.
VR: Also man muss den Radikalen Grenzen
setzen, damit die Intoleranz nicht gepredigt wird.
Und dadurch haben wir dann auch den
geschützten Raum für die Gemäßigten, um mit den
gemäßigten Moslems in Deutschland in
Frieden und Freundschaft zu leben.
MA: Die gemäßigten Moslems haben es
in Deutschland schwer, denn sie werden entweder von
den Radikalen angefeindet oder als
Ketzer bezeichnet, und sie werden von der großen Masse
unter Druck gesetzt, da die herrschende
Strömung des Islam in Deutschland viel radikaler und
politischer als in Syrien ist. Die
anderen Flüchtlinge, die zu einer Minderheitsgruppe gehören,
haben es in Deutschland noch schwerer.
VR: Ich denke, es sind in diesem
Interview einige Punkte sichtbar geworden, was hier in
Deutschland verbessert werden kann. Und
Sie haben auch einige wichtige Einblicke in den
Konflikt gegeben. Herzlichen Dank.
MA: Gern geschehen.
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