Unser Politikblog | 17.06.2019
Majd Abboud (C) |
Majd
Abboud hat in seinem Heimatland Syrien als Zahnarzt gearbeitet. Heute
lebt er als Flüchtling in Deutschland. Viele kennen ihn durch die
Zeitschrift Cicero oder RT Deutsch.
Im
ersten Teil des Interviews geht es um seine Erfahrungen und
Einschätzungen zu dem Konflikt, um die Involvierung der
Muslimbruderschaft und anderer Staaten, um Eskalationsgefahren und um
die Aussicht auf Frieden.
Transkript
des Unser Politikblog–Interview mit Majd Abboud
(Teil 1 von 2)
Volker
Reusing (VR): Es ist Montag, der 31.12.2018. Dies ist ein Interview
für die Sendung „Macht und Menschenrechte“ von Unser
Politikblog. Mein Name ist Volker Reusing. Heute spreche ich mit
Herrn Majd Abboud. Er hat in Syrien als Zahnarzt gearbeitet und
wohnt heute in Saarbrücken. Vielen ist er bekannt aus der FAZ oder
aus Cicero. Guten Tag, Herr Abboud.
Majd
Abboud (MA): Guten Tag.
VR:
Herr Abboud, wie haben Sie den Syrien-Konflikt erlebt?
MA:
Am Anfang des Konflikts haben wir nur mitbekommen, dass die Leute,
genauso wie in anderen Städten und Staaten im Nahen Osten, auf die
Straße gingen und Freiheit und Demokratie forderten. Diese
Forderungen waren eigentlich auch berechtigt. Viele von uns hatten
nur Angst, weil wir mit dem politischen Islam in den 1980er Jahren
schon unsere Erfahrung gemacht hatten. Ein großer Teil der Syrer war
skeptisch und wollte abwarten und schauen, wie sich die Lage
letztendlich entwickelt. Bemerkenswert war, dass die meisten Proteste
von den Moscheen ausgingen, und es entstand der Eindruck, dass diese
Proteste muslimisch geprägt waren. Auf manschen Demonstrationen
waren extrem islamisch geprägte Forderungen zu hören. Manche
forderten die Abschaffung von Niqab-Verbot und die Trennung zwischen
Jungs und Mädchen in den Schulen. Aus diesem Grund haben sich viele
davon distanziert. Und dann hieß es: „Wer nicht mitmacht, ist ein
Verräter.“ Viele Minderheiten, nämlich Christen, Alawiten oder
Drusen aber auch gemäßigte Muslime, wurden von den sogenannten
„Rebellen“ als „Verräter“ bezeichnet, weil sie sich an
dieser Bewegung nicht mehr beteiligt haben. Es gab dann Fälle, wo
die Leute auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit angegriffen wurden.
Und das war für viele entscheidend, weil man in einer echten
Demokratie seine Meinung für oder gegen etwas haben darf. Als der
Aufruhr in Syrien anfing, war ich in Saudi-Arabien und habe dort
erlebt, dass das, was in westlichen und auch arabischen Medien wie
Al-Jazheera und Al-Arabia als Aufstehen für Demokratie,
Menschenrechte oder Freiheit bezeichnet wurde, eine islamische
Bewegung war. Denn dort wurde lange Zeit vor dem Anfang der Proteste
in den Moscheen gegen Assad, gegen die Regierung und auch gegen
Minderheiten gehetzt; diese wurden als Ketzer bezeichnet. Der Krieg
wurde dadurch religiös ligitimiert.
VR:
Was war letztlich ausschlaggebend für Sie, Syrien zu verlassen?
MA:
Ich wurde in Saudi-Arabien auf Grund meiner Haltung der sogenannten
Revolution gegenüber angefeindet. Ich habe zu Frieden aufgerufen und
ermahnt, dass man sich von Gewalt distanzieren sollte, und dass eine
echte Revolution nicht gewalttätig sein darf. Stattdessen haben
manche die Gewalttätigkeit in Syrien sogar gefeiert, was ich nicht
akzeptieren konnte. Wenn Leute getötet werden, sollte man trauern
und nicht feiern. Und das abgesehen von ihren politischen
Einstellungen oder Religionzugehörigkeit: Dann wurde ich gezwungen,
nach Syrien zurückzukehren. Als ich dort ankam, war meine Praxis
zerstört. Das Leben in Syrien wurde insgesamt immer unerträglicher.
Zum einen fehlte die Sicherheit. Die Angst war immer größer
geworden. Man fürchtete um das Leben der Familie und natürlich auch
um das eigene. Besonders gefährlich in Syrien war, wenn man zu einer
der Minderheitsgruppen gehörte. Denn die radikalen Islamisten haben
viele Dörfer von einem Tag auf den anderen erobert und die Menschen
dort bestialisch getötet. Zum anderen waren die Lebensumstände
katastrophal. Der Strom fiel zum Beispiel oft aus. Aus diesem Grund
konnte man seine Tätigkeit nicht wie gewohnt ausüben. Dasselbe
passierte auch mit dem Wasser. Es mangelte an Medikamenten, an
Lebensmitteln, aber auch an Geld, da die Preise enorm in die Höhe
schnellten.
VR:
Ich habe gelesen, Syrien hatte eine im Mittleren Osten ziemlich weit
entwickelte Pharmaindustrie, es gab also eigentlich eine gute
Medikamentenversorgung.
MA:
Ja, aber viele Fabriken wurden von den Rebellen angegriffen und
zerstört. In Fabriken z.B. in Aleppo, der größten industriellen
Stadt Syriens, wurden große Maschinen von den islamistischen
„Rebellen“ auseinander gebaut und in die Türkei transportiert,
also von den sogenannten Rebellen gestohlen. Sie haben die
Infrastruktur angegriffen, die Fabriken, Kraftwerke, Krankenhäuser
usw., um den Staat in die Knie zu zwingen. Folglich waren die
Lebensumstände also katastrophal. Also es mangelte an Medikamenten,
an Lebensmitteln, aber auch an Geld, da die Preise sich
verfunffachten. So konnte man auch die Miete nicht bezahlen, sei es
privat oder beruflich. In meinem Beruf als Zahnarzt musste ich des
Öfteren auf mein Honorar verzichten.
Infolgedessen
und auch wegen der fehlenden Behandlungsmaterialien musste ich die
Praxis aufgeben. Ich blieb bis 2015 in Syrien. Doch nach 5 Jahren war
die Ungewissheit äußerst strapaziös. Denn es wusste ja niemand,
wie lange dieses Elend oder Leiden dauern würde. Deshalb habe ich
mich entschieden, Syrien zu verlassen. Es war keine einfache
Entscheidung, aber ich wollte endlich in Frieden leben.
VR:
Welche Rolle spielt die Muslimbruderschaft im Syrien-Konflikt?
MA:
Eine große und entscheidende Rolle, was wir nicht von Anfang an
gewusst haben. Aber wie man beobachtet hat, kam mit dem Arabischen
Frühling die Muslimbruderschaft in allen betroffenen Ländern an die
Macht. Ein gutes Beispiel hierfür ist Ägypten. Sie, die
Muslimbruderschaft, hat immer behauptet, dass sie keine Rolle spielt
oder nicht die Macht anstrebt. In Wirklichkeit aber hat sie im
Hintergrund gearbeitet.
Die
Muslimbrüder sind sehr gut vernetzt und organisiert und präsentieren
sich im Westen als moderat. In Syrien haben wir seit Langem eine
andere Vorstellung davon, was die Muslimbrüder sind. Denn in den
1980er Jahren haben sie viele Anschläge in Syrien verübt. Sie haben
immer versucht, Syrien zu destabilisieren. Da das Land vielfältig
ist, gelang es ihnen, indem sie jede andere Lebensweise attackiert
haben. Sie haben die Gesellschaft gespaltet, indem sie die
Minderheiten angegriffen haben. Es gab verschiedene Ereignisse. 1979
haben sie in Aleppo Armeesoldaten überfallen, oder in Damaskus oder
Homs beispielsweise Intellektuelle, besonders wenn sie zu einer der
Minderheiten gehörten. Somit haben sie die Spaltung der Gesellschaft
forciert und zu einer religiösen Spannung beigetragen.
VR:
Ich habe gelesen, dass die Muslimbruderschaft 1928 gegründet wurde,
und dass sie von Anfang an von einem globalen Kaliphat träumte, also
einem globalen Kaiserreich mit ihrer intoleranten Konfession, ihrer
intoleranten Auslegung des Islam. Das habe ich in „Amerikas
Heiliger Krieg“ von William Engdahl gelesen. Es gibt auch ein
Strategiepapier, beschlossen am 01.12.1982. Es beschreibt „das
Projekt“ der Muslimbruderschaft, woran man ebenfalls erkennen kann,
dass sie ein globales Kaliphat errichten will.
MA:
Die Muslimbruderschaft ging aus dem Ersten Weltkrieg hervor. Die
Osmanen hatten die Region über 600 Jahre mit islamischem Gesetz
regiert. Im Ersten Weltkrieg wurde das Osmanische Reich besiegt. Und
Syrien begann, sich in Richtung Nationalstaat zu entwickeln, ebenso
wie die anderen arabischen Staaten. Doch es war immer der Wunsch
vorhanden, den Ruhm eines Kaliphats wiederherzustellen, also einer
Vereinigung der islamischen Staaten. Die Muslimbruderschaft verfolgt
genau dieses Ziel. Sie appelliert an diesen Stolz.
Dazu
muss man jedoch verstehen, dass es im arabischen Raum zwei
islamisch-westliche Projekte gibt, die Muslimbruderschaft und den
Wahabismus, der aus Saudi Arabien kommt. Die Osmanen, also die
Türkei, waren im Ersten Weltkrieg mit Deutschland alliiert. Und
deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland auch heute noch
die Muslimbruderschaft unterstützt, die jetzt von Erdogan
repräsentiert wird. Die Amerikaner und die Briten standen hingegen
auf der anderen Seite, sie haben die Saudis an die Macht gebracht und
damit auch den Wahabismus gefördert. Mark Curtis hat diese
Cooperation in seinem Buch „Secret Affairs- Britanniens Kollusion
mit dem radikalen Islam“ sehr detailliert und ausführlich
beschrieben.
VR:
Ich habe bei William Engdahl in „Amerikas Heiliger Krieg“
gelesen, dass sich die Muslimbrüder, nachdem die Nazis an die Macht
gekommen waren, Deutschland zugewandt haben. Sie waren ja damals, und
ich nehme an, sie sind es auch heute noch, ziemlich antisemitisch
eingestellt. Die Nazis haben den Muslimbrüdern sehr viel Geld
gegeben und mit deren Hilfe viele freiwillige Kämpfer gegen die
Sowjetunion rekrutiert. Als die Nazis den Krieg verloren hatten,
haben sie sich dann wieder den Briten und Franzosen und später auch
den Amerikanern und Saudis zugewandt.
MA:
Die Muslimbrüder sind eben sehr pragmatisch. Sie wollen um jeden
Preis an die Macht kommen, daher können sie ihre Loyalität ganz
einfach wechseln. Als Obama Präsident der USA war, hatten wir den
Eindruck, dass er die Muslimbruderschaft zusammen mit Europa sehr
stark unterstützt und fördert. Ein neuer Nahen Osten sollte daraus
entstehen wie es Condoleezza Rice, die vorherige amerikanische
Außenministerin audgedrückt hat.
Erdogan
gab einmal zu, dass die Amerikaner ihm den Auftrag gegeben haben, den
Nahen Osten zu leiten, nämlich dieses Projekt zu ermöglichen.
VR:
Meinen Sie im Arabischen Frühling?
MA:
Ja. Der Westen hat ihn verharmlost und unterstützt. Dieses Projekt
wurde von beiden islamischen Mächten, Saudi-Arabien einerseits und
Katar mit der Muslimbruderschaft andererseits, geleitet. Es sollte
ein großer islamischer „sunnitischer“ Staat in dieser Region
entstehen, von der Türkei bis Ägypten oder Libyen. Dieser Staat
sollte eine Zone schaffen, um den Iran und China auszugrenzen. Mit
einem solch großen islamischen Staat könnte man später auch Iran
angreifen.
Dabei wird ein sehr alter islamischer-islamischer Konflikt abgerufen
und vorangetrieben, zwischen den zwei größen Strömungen im
islamischem Raum, Schiiten (Iran) und Sunniten ( in allen anderen
islamischen Ländern).
Das
Projekt ist jedoch an einem Punkt ins Stocken geraten, als die
Muslimbruderschaft in vielen arabischen Ländern immer mächtiger
wurde. Als Folge des arabischen Frühlings haben die Muslimbrüder
auch Regierungen gebildet. Es kam 2014 zu Protesten in Saudi Arabien
und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dabei fühlten sich die
Saudis von einem weiteren Regime Change bedroht. Aufgrund dieser
Uneinigkeit begann das Projekt zu scheitern. Während Obama die
Muslimbruderschaft sehr stark unterstützt hat, hat sich Trump später
für Saudi-Arabien, also für den Wahabismus entschieden, vielleicht
weil sie besser zahlen.
VR:
Ich meine, die Muslimbrüder wollen ein globales Kaliphat. Das
schließt ja auch Europa und die USA mit ein. Das wollen die
Wahabiten, glaube ich, nicht.
MA:
Sowohl Saudi-Arabien als auch die Muslimbruderschaft wollen ein
globales Kaliphat. Saudi-Arabien hat nicht nur im arabischen Raum,
sondern vor allen Dingen im Westen viel Einfluss, vor allem durch
Moscheen, aber auch durch in Saudi-Arabien ausgebildete Imame. Diese
werden nach Australien, nach Großbritannien, aber auch nach
Deutschland geschickt, um die Leute zu rekrutieren. Beide wollen ein
globales Kaliphat, aber der entscheidende Punkt ist, wer dieses
Kaliphat leiten soll. Für den Westen ist eher die Frage, wer mehr
Vorteile bringt, die Muslimbruderschaft oder der Wahabismus.
VR:
Ich habe in der India Times vor ein paar Jahren gelesen, dass etwa 90
oder 95 Prozent der Dschihadisten ausländische Kämpfer sind. Das
zeigt auch die internationale Dimension. Bei den verschiedensten
Dschihadistengruppen sind die meisten gar keine Syrer.
MA:
Aus meiner Erfahrung in Syrien kann ich bestätigen, dass sich viele
ausländische Kämpfer in Syrien befinden. Die Menschen wurden auf
der ganzen Welt rekrutiert, in Deutschland, in Frankreich, in
Großbritannien, Australien, Tschetschenien, Ägypten, Libyen und
auch Tunesien. Es gab viele ausländische Kämpfer, die auch in den
syrischen Medien gezeigt wurden. Die ausländischen Kämpfer spielen
eine große und entscheidende Rolle. Überall wurde zum Dschihad in
Syrien aufgerufen. Und wenn man zum Dschihad aufruft, dann ist das
klar, dass es sich in Syrien nicht um eine Revolution handelt,
sondern eben um einen Dschihad, der zum Ziel hat, einen eigenen
islamischen Staat in Syrien zu gründen. Der Westen war bereit,
Syrien genauso zu opfern, wie er bereits Afghanistan geopfert hatte.
Es ist ein Pakt mit dem Teufel, wenn man diese Dschihadisten
verharmlost. Wenn wir in Syrien diesen Kampf gegen die Dschihadisten
verlieren, bedeutet das vor allem für die Minderheiten wie Christen,
Alawiten, Drusen oder Jesiden, dass sie nicht mehr dort leben können.
Der Westen war bereit, das Land allgemein, das Zusammenleben, die
Toleranz, und alles zu opfern, um ökonomische und geopolitische
Interessen in Syrien durchzusetzen.
VR:
Welche Rolle spielen andere Staaten im Syrien-Konflikt? Sie haben ja
schon Saudi-Arabien, Katar, die Türkei und auch den Westen erwähnt.
Daher nehme ich an, Sie denken wahrscheinlich auch an bestimmte,
konkrete westliche Staaten.
MA:
Ich habe gelesen, dass Deutschland zum Beispiel jüngst 50 Millionen
€ an die Rebellen in Idlib bezahlt hat, natürlich unter dem
Deckmantel der Humanität. Aber wie sollte man kontrollieren, ob man
es wirklich für humanitäre Zwecke einsetzt?
VR:
Offiziell für den zivilen Aufbau, Humanitäres,
Verwaltungsstrukturen...
MA:
Aber wie ist es mit den Menschen, die in anderen Regionen leben? Sie
müssen auch ihre Stadt aufbauen. Einerseits werden die Leute in
Idlib unterstützt, um den Kampf aufrechtzuerhalten. Und andererseits
werden die Menschen, die auf der anderen Seite leben, sanktioniert.
VR:
Sie meinen die Wirtschaftssanktionen unter anderem der USA und der
EU?
MA:
Auch Lebensmittel, Medikamente, Impfungen oder Krebsmedikamente
werden sanktioniert.
VR:
Durch die Zerstörungen durch den Krieg kann oder konnte Syrien
vieles ja nicht mehr selber herstellen und musste es importieren.
Doch den Syrern wird es durch die Sanktionen dann auch noch schwer
gemacht, die Importe zu bezahlen.
MA:
Ja natürlich, besonders, weil die Region, wo man Öl fördert, also
Hasaka und Qamishli, also die Geldeinnahmequelle des Landes, seit
Langem unter der Kontrolle der Amerikaner steht.
VR:
Und auch der Franzosen.
MA:
Und der Franzosen, ja. Das Öl aus dieser Region war eigentlich unter
der Kontrolle des IS, der das Öl an die Türkei verkauft und damit
viel Geld verdient hat.
VR:
Die ganzen LKWs mit der Versorgung für ISIS sind ja auch alle über
die Türkei gelaufen. Und in der anderen Richtung ist das Öl dann
abtransportiert worden.
MA:
Genau. Diese Konvois wurden von den Russen 2015 bombardiert. Es war
ein großer Verlust für den IS und für die Türkei.
VR:
Die meisten Kämpfer sind meines Wissens auch über die Türkei
gekommen, weil die Grenze im Vergleich zu Jordanien viel länger ist.
MA:
Ja, aber nicht nur Kämpfer, auch Geheimdienste verschiedener
Staaten. In Jordanien gab es ein Militärisches Operationszentrum.
Dort wurde die Operation in Syrien gesteuert und überwacht. Ein
Koalitionszentrum. Die Amerikaner, Franzosen und Briten, alle saßen
in diesem Zentrum in Jordanien und haben den Konflikt gesteuert. Über
die Grenze mit Jordanien kamen auch viele Kämpfer aus Saudi-Arabien,
nach Daraa zum Beispiel und von dort weiter ins Landesinnere.
VR:
Zum Glück scheinen sich ja eine ganze Menge Staaten aus dem Konflikt
zurückgezogen zu haben.
MA:
Mansche arabischen Staaten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, so
wie Saudi-Arabien oder Jordanien, haben signalisiert, dass sie bereit
sind, wieder Kontakt mit der syrischen Regierung aufzunehmen, ebenso
die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Botschaften sind in Damaskus
schon renoviert und wieder eröffnet. Der Krieg konnte bald ein Ende
haben. Der Westen will aber nicht mit leeren Händen ausgehen. Das
kann den Krieg noch verlängern.
VR:
Wir haben noch die Dschihadisten in Idlib, in Teilen von Aleppo und
in kleineren Teilen von Hama. Und wir haben noch die kurdisch
kontrollierten Gebiete. Ist der Krieg wirklich zu Ende, oder was muss
noch geschehen?
MA:
Zunächst einmal sollte man sich darüber im Klaren sein, dass sich
in Idlib die schlimmsten Dschihadisten aufhalten, die bislang nicht
bereit waren, die Waffen niederzulegen. Natürlich ist es sehr
traurig, dass sich darunter auch Frauen und Kinder befinden. Doch die
Kinder, die zu Beginn des Krieges sieben oder acht Jahre alt waren,
sind heute 14 oder 15 und trainieren seit Jahren mit Waffen und sind
mit dieser Ideologie gesättigt. Die große Frage ist, wie man diese
Menschen in eine zivilisierte Gesellschaft integrieren soll. Das
Problem ist, dass sie niemand haben will, noch nicht einmal Saudi
Arabien, wo sie ideologisch am besten hinpassen würden.
Ich finde es gut, dass sich Deutschland in diesem Konflikt um eine internationale Rolle bemüht, doch sollte dies nicht mit militärischen Einsätzen erfolgen und auch nicht mit einer verbalen Billigung solcher Einsätze durch die Verbündeten. Die Welt braucht Frieden, und Frieden erreicht man nicht, indem man Kriege führt. Ich denke, nur in Zusammenarbeit mit Russland kann eine Lösung gefunden werden. Berichte aus Idleb gaben an, dass viele ausländische Kämpfer sind rausgezogen, das kann man im Zusammenhang mit Astana-Gespräche verstehen. Doch die Bundesregierung hat die Kämpfer in Idleb mit 50 Millionen Euro unterstützt, um den Kampf aufrecht zu erhalten.
Ich finde es gut, dass sich Deutschland in diesem Konflikt um eine internationale Rolle bemüht, doch sollte dies nicht mit militärischen Einsätzen erfolgen und auch nicht mit einer verbalen Billigung solcher Einsätze durch die Verbündeten. Die Welt braucht Frieden, und Frieden erreicht man nicht, indem man Kriege führt. Ich denke, nur in Zusammenarbeit mit Russland kann eine Lösung gefunden werden. Berichte aus Idleb gaben an, dass viele ausländische Kämpfer sind rausgezogen, das kann man im Zusammenhang mit Astana-Gespräche verstehen. Doch die Bundesregierung hat die Kämpfer in Idleb mit 50 Millionen Euro unterstützt, um den Kampf aufrecht zu erhalten.
VR:
Die türkischen Truppen scheinen ja auch eher eine Drohkulisse
aufzubauen, damit die Kurden die Kontrolle über die Gebiete im
Nordosten wieder mit den syrischen Regierungstruppen teilen, damit
die Kurden keine Gefahr für die Türkei mehr sein können, das ist
mein Eindruck. Die bauen dort so viele Truppen auf, sind aber bisher
dort noch nicht einmarschiert.
MA:
Ja, die Kurden werden in diesem Konflikt benutzt. Als das Projekt des
Islamischen Staats in Syrien gescheitert ist, blieb dem Westen nur
noch diese kurdische Karte. Und dort sind die Amerikaner schon
eingesprungen, und sie wollten die Kurden unterstützen. Die Kurden
lassen sich gerne instrumentalisieren, um einen alten Traum zu
verwirklichen. Genauso wie sich die Muslime instrumentalisieren
ließen. Das hätten sie früher begreifen sollen. Ein kurdischer
Staat, ein Kurdistan, wird in dieser Region überhaupt nicht möglich
sein. Ein Kurdistan bedeutet ein Stück von Syrien, ein Stück von
der Türkei, ein Stück von Irak und auch ein Stück von Iran. Ohne
einen Dritten Weltkrieg könnte so ein Staat nicht entstehen.
VR:
Ja, wenn nicht ein anderes Land diesen Staat stützen würde
gegenüber den Ländern, denen man Gebiete wegnähme.
MA:
Ja, die Amerikaner haben die Kurden unterstützt. Die Europäische
Union war ebenfalls bereit, so einen Staat zu unterstützen. Es
wurden Bücher darüber geschrieben. Die Medien haben berichtet. Die
Linke betrachtet zum Beispiel die Kurden als die einzig demokratische
Kraft in Syrien. Das stimmt auch nicht. Es gibt viele andere Kräfte
in Syrien, die demokratisch sind. Das dient nur dem Ziel, Syrien zu
teilen. Und das verstehe ich nicht, weil sich die Linkspartei in
Deutschland für offene Grenzen einsetzt und für Toleranz und
Miteinander. Doch in Syrien setzt sie sich für Ausgrenzung und für
eine neue Grenze ein.
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