Sendereihe: "Macht und Menschenrechte" ( Unser Politikblog TV) November - dann in anderem Format

Donnerstag, 24. Juni 2010

Anliegen der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org an den Deutschen Ethikrat

Daniela Truffer 23. Juni 2010


zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

P R E S S E M I T T E I L U N G


Anliegen der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
an den Deutschen Ethikrat
Forum Bioethik vom 23. Juni 2010

Keine TäterInnensprache, bitte!
Seit 14 Jahren verurteilen überlebende Zwitter das, was ihnen von PädiaterInnen, EndokrinologInnen und ChirurgInnen angetan wird, öffentlich als Genitalverstümmelungen, Zwangskastrationen, genitale Zwangsoperationen, Hormonzwangsbehandlungen, s*xualiserte Gewalt ("Kindesmissbrauch") und als medizinische Folter. Eine neutrale und objektive, aber trotzdem nicht beschönigende Bezeichnung ist zum Beispiel kosmetische Genitaloperationen an Kindern (mit 'uneindeutigen' körperlichen Geschlechtsmerkmalen). Beschönigungen wie "korrigierende oder angleichende Eingriffe" entstammen dagegen der TäterInnensprache. Dass der Ethikrat solche unreflektiert benutzt, muss hoffentlich künftig nicht sein.

Körperliche Unversehrtheit ist das erste Gebot!
Kosmetische Genitaloperationen an Kindern sind ein schwerwiegender Verstoss gegen das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Grundgesetz Art. 2 Abs. 2).
Seit über 50 Jahren werden Zwitterkinder systematisch genitalen Zwangsoperationen unterzogen. Es handelt sich unbestritten um medizinisch nicht notwendige, kosmetische Eingriffe, die seit Jahrzehnten als unkontrollierte Menschenexperimente durchgeführt werden, ohne die informierte Einwilligung der Betroffenen und ohne jegliche Evidenz.
Seit 1996 fordern überlebende Zwitter und ihre Organisationen an erster Stelle die schnellstmögliche Beendigung der Genitalverstümmelungen und die Durchsetzung des Grund- und Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung auch für Zwitter.
Seit 1997 prangern namhaften KulturwissenschafterInnen, BioethikerInnen und JuristInnen die Zwangsoperationen als unangemessen und menschenrechtswidrig an. Seit 2004 verurteilt Terre des Femmes genitale Zwangsoperationen an Zwittern als Verstümmelung und zieht Parallelen zwischen genitalen Zwangsoperationen in westlichen Kinderkliniken und den weiblichen Genitalverstümmelungen in Afrika.
2008 sah das OLG Köln das "Selbstbestimmungsrecht [...] in ganz erheblichem Maße verletzt" (5 U 51/08).
2009 rügt das UN-Komitee CEDAW die Bundesregierung wegen der Zwangsoperationen und fordert "wirksame[ ] Massnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte" (CEDAW/C/DEU/CO/6).
2010 verurteilt die Deutsche Sektion von Amnesty International die kosmetischen Genitaloperationen als "fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte", nennt an erster Stelle das "Recht auf körperliche Unversehrtheit" und setzt die "Ächtung" der Zwangseingriffe in den "Mittelpunkt der Bemühungen".
Dass demgegenüber der Deutsche Ethikrat zum heutigen Forum Bioethik anstelle der Urforderung überlebender Zwitter nach Beendigung der Zwangsoperationen plötzlich Anliegen und Forderungen dritter Interessengruppen ins Zentrum rückt (Benachteiligung durch die "als diskriminierend" empfundene "geltende Rechtslage, insbesondere das Personenstandsrecht, das Namensrecht sowie das Ehe- und Lebenspartnerschaftsrecht", "Merkmal der s*xuellen Identität in das [...] Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3 Satz 1) [...] aufzunehmen", die zudem politisch alles andere als unumstritten sind, wirft in der Tat Fragen auf.
Ebenso, dass der Ethikrat Artikel 2.2 des Grundgesetzes gar nicht erst erwähnt und obendrein zuerst noch einmal darüber diskutieren will, ob die Verstümmelungen überhaupt gegen "das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit" verstossen – oder eventuell auch nicht?!
Konkrete Antworten und Ergebnisse innert nützlicher Frist wären hier hoch willkommen.

Es braucht ein gesetzliches Verbot der Verstümmelungen!
Seit 14 Jahren klagen Überlebende die Genitalverstümmelungen öffentlich an und fordern die Medizyner zum Aufhören und die Politik zum Handeln auf – vergeblich. Die Bundesregierung gab zu Protokoll, von unzufriedenen Zwangsoperierten nichts zu wissen, und sieht bis zum heutigen Tag keinen Handlungsbedarf.
Ähnlich wie bei Überlebenden von s*xualisierter Gewalt ("Kindesmissbrauch") ist der Rechtsweg für überlebende Zwitter ein Alptraum und eine Farce. Da die Verstümmelungen in der Regel vor dem 2. Lebensjahr erfolgen sowie wegen der damit verbundenen schweren Traumatisierungen haben erwachsene Überlebende in der Regel keine Chance, vor Ablauf der Verjährung zu klagen. Erst 2007 gelang es Christiane Völling als erster – und immer noch einziger! – praktisch in letzter Minute ihren früheren Chirurgen anzuzeigen, wenn auch nur zivilrechtlich. Wäre sie wie die meisten Zwitter schon als Kleinkind verstümmelt worden, wäre ihr Zwangsoperateur ebenfalls unbehelligt davongekommen.
Wie die potentiellen Opfer von s*xualisierter Gewalt und weiblicher Genitalverstümmelung brauchen auch Zwitter besonderen rechtlichen Schutz vor genitalen Zwangsoperationen und zur Gewährleistung der vollständigen Umsetzung und Anwendung ihrer Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde.
Ein explizites gesetzliches Verbot kosmetischer Genitaloperationen an Kindern ist unter Überlebenden eine der unbestrittensten Forderungen und hat auch realpolitisch gute Chancen.
Der Ethikrat könnte einen entscheidenden Beitrag leisten zu ihrer schnellstmöglichen Verwirklichung – ohne dass zuerst noch zahllose weitere Kinder einen lebenslangen Leidensweg durchlaufen müssen wie schon viele Tausende vor ihnen!

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!
Tag für Tag wird in Deutschland mindestens ein wehrloses Kind unwiederbringlich verstümmelt. Seit bald 10 Jahren gibt es dazu regelmässig ExpertInnenrunden, Fachgespräche, Foren – Worte, Publikationen, Absichtserklärungen, Versprechungen, Vertröstungen ...
Zu konkreten Schritten zur Beendigung der kosmetischen Genitaloperationen kam es bisher nie. Die TäterInnen operieren unkontrolliert weiter.
Zahllose Zwangsoperierte setzen seit langem grosse Hoffnungen in den Deutschen Ethikrat. Dass endlich etwas geschieht. Dass das Unrecht und das Leid endlich aufhören. Dass nicht mehr länger vor der eigenen Haustüre tatenlos geduldet wird, was man gleichzeitig anderswo lautstark als unmenschlich verdammt. Dass endlich jemand die Messer und Spritzen stoppt.
Wir wünschen uns vom Ethikrat, dass diese Hoffnung nicht vergebens war.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und "Menschenrechte auch für Zwitter!".


Freundliche Grüsse

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Inters*x.ch
Mitglied Inters*xuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info

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Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info

1 Kommentar:

  1. Wo wir grad bei Menschenrechten sind ein kleiner Hinweis:
    Es gibt da ein spannendes Dokumentarfilmprojekt.
    http://www.youtube.com/watch?v=0MWaaK0fDJA

    Ein Filmteam begleitet ein MenschenrechtsSeminar für junge Erwachsene aus Belarus, Deutschland und der Ukraine, in dem die TeilnehmerInnen das nötige Know-How bekommen um Menschenrechtskampagnen umzusetzen.
    Der Dokumentarfilm soll den Projektverlauf dokumentieren, der Teilnehmer-Generation ein Gesicht geben und zeigen unter welchen Umständen sie in Zentral- und Osteuropa lebt, diskutiert und welche Begrenzungen sie umgibt.

    Es wird noch dringend Geld benötigt um das Projekt fertig stellen zu können. Hier kann man es finanziell unterstützen: http://startnext.de/speak-up

    Übers weiterbloggen würde ich mich freuen...

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