Unser
Politikblog | 09.09.2018
Am
01.09.2018 hat auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn eine
Kundgebung zur Ehrung des 70. Jahrestags des Parlamentarischen Rats
und für demokratische Kontrolle und Transparenz insbesondere beim
Bundesverfassungsgericht stattgefunden.
Platz der Vereinten Nationen in Bonn vor der Veranstaltung |
Redner und Teilnehmer der Veranstaltung kamen aus einem breiten politischen und weltanschaulichen demokratischen Spektrum, darunter Menschen aus der Flüchtlingshilfe ebenso wie solche, die sich gegen die Zunahme der Gewalt in unserem Land engagieren. Weitere Zuhörer kamen später zeitweilig im Laufe der Veranstaltung hinzu, darunter Besucher des nahe gelegenen Hotels und des am Abend stattfindenden Beethoven-Konzerts. Außerdem waren diesmal, insbesondere während der ersten Reden, weitere Journalisten anwesend.
Anders
als bei der ersten Veranstaltung am 23.05.2018, wo für die
verteilten Grundgesetze in arabischer Sprache ein reges Interesse
bestand, waren diesmal so gut wie keine Menschen mit erkennbarem
Migrationshintergrund dabei.
Eingangs
bedankte sich Volker Reusing bei der Polizei für deren vorbildliche
Vorkehrungen zur Sicherheit dieser Veranstaltung sowie einer weiteren
Kundgebung am anderen Ende des Platzes, welche ebenfalls auf
anti-faschistischer Grundlage stattfand. Volker Reusing äußerte die
Einschätzung, dass Leute wie seine Frau und er bei den Nazis mit
Sicherheit im KZ gelandet wären. Er erläuterte, dass die Symbolik
mit den weißen Rosen, im Gedenken an den Parlamentarischen Rat,
bewusst gewählt sei in Anlehnung an die Geschwister Scholl, die sich
im Zeichen der weißen Rose aus einem aufgeklärten
christlich-humanistischen Bewusstsein schützend vor die Weimarer
Reichsverfassung gestellt haben. Im Zeichen der gleichen Zivilcourage
stelle sich die Kampagne „Stoppt den Grundrechtsboykott“
entschlossen, friedlich und rechtsstaatlich schützend vor unser
Grundgesetz.
Danach
ging es um die Forderungen des Gesetzentwurfs mit Petition „Stoppt
den Grundrechtsboykott“, denn der wichtigste Schritt zur Ehrung des
Parlamentarischen Rats sei es, das von diesem geschaffene Grundgesetz
auch anzuwenden. Dem Gesetzentwurf gehe es darum, durch Änderungen
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und des
Grundgesetzes lückenlos alle „Schlupflöcher“ zu schließen,
mit welchen es heute de facto noch möglich sei, sich intransparent
selektiv vor der Behandlung gültiger Verfassungsbeschwerden zu
drücken. Als mit Abstand wichtigsten Inhalt des Gesetzentwurfs hob
Volker Reusing die Streichung des §93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG hervor,
welcher seit 1993 Nichtannahmen von Verfassungsbeschwerden
intransparent ohne Begründung ermögliche. Außerdem geht es u. a.
um eine unmissverständlichere Formulierung der
Befangenheitsvorschriften, um die Volkswahl der Verfassungsrichter,
um die Untersagung aller bezahlten Nebentätigkeiten und um die
Einführung einer expliziten Strafbewehrung gegen die Mitentscheidung
über gegen einen selbst gerichtete Befangenheitsanträge.
Sodann
folgte ein kurzer Ausschnitt aus der Zeitleiste „Beobachtungen –
Der Parlamentarische Rat 1948 / 1949“ der Stiftung Haus der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, auf dem Weg vom Tag der
Befreiung vom Naziregime bis zum Beginn des Parlamentarischen Rats.
Die darin vertretenen Parteien (SPD, CDU, CSU, FDP, Zentrum, KPD und
DP) und deren Sitzverteilung wurden benannt. Volker Reusing betonte,
dass diese insgesamt einen sehr breiten Teil des damaligen
demokratischen Spektrums von weit links bis weit rechts vertraten,
dass sie alle wertvolle Beiträge zur Entstehung des Grundgesetzes
geleistet haben, und dass sie alle zumindest den Grundkonsens gehabt
haben, dass es nie wieder eine Naziherrschaft geben darf.
Der
Redner erläuterte, dass das Grundgesetz in einer angespannten
Situation geschaffen worden sei während der Zeit der
Berlin-Blockade, und dass es damals einen Wettlauf gegeben habe
zwischen der Schaffung des Grundgesetzes für die drei westlichen
Besatzungszonen und dem Projekt einer gesamtdeutschen Verfassung mit
mehr kommunistischen Inhalten. Die KPD habe damals primär versucht,
das ihrer Anschauung näher stehende Projekt durchzusetzen, aber auch
Inhalte ins Grundgesetz einzubringen.
Einige
Abgeordnete des Parlamentarischen Rats wurden besonders lobend und
ehrend hervorgehoben. Darunter ist Dr. Thomas Dehler (FDP), auf den
die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) zurückgeht, welche die
entscheidende Antwort des Grundgesetzes auf die schrecklichen
Erfahrungen mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis und dessen Folgen
sei. Die KPD wurde für ihren Antrag auf die Einfügung eines Art. 2a
GG mit den Grundrechten auf Nahrung, Kleidung und Wohnung gelobt.
Positiv hervorgehoben wurden auch die Versuche des Zentrums, mehr
soziale Grundrechte sowie ein Grundrecht auf Volksabstimmungen ins
Grundgesetz aufzunehmen. Ebenfalls gewürdigt wurde die Initiative
des SPD-Abgeordneten Walter Menzel, Volksabstimmungen auch zur Abwahl
der Abgeordneten zu ermöglichen. Gedacht wurde auch Dr. Elisabeth
Selbert und Friederike Nadig, den beiden SPD-Abgeordneten, die
durchgesetzt haben, dass im Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG die
Gleichberechtigung von Mann und Frau besonders hervorhoben ist.
Außerdem
zählte er die Grundrechte des Grundgesetzes und die in Deutschland
gültigen internationalen Menschenrechtsquellen auf und sprach über
die wehrhafte Demokratie.
Iris
Swoboda hielt eine leidenschaftliche Rede zur Menschenwürde des
Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie erläuterte, warum diese ist
etwas ganz besonderes ist, auch im Vergleich zu den
verfassungsmäßigen Ordnungen der anderen EU-Mitgliedsstaaten sowie
im Vergleich zu den Menschenrechtsssystemen der Vereinten Nationen,
der Europäischen Union und des Europarats.
Emotional
und bewegend waren ihre Beispiele, was zur Menschenwürde gehört,
und wie die Würde von Frauen in Deutschland verletzt werde.
Eindringlich war ihr Aufruf, dass der Staat, seinem Gewaltmonopol zum
Schutze der Frauen gerecht werden müsse. Sie forderte, das
Bildungsdefizit in Deutschland hinsichtlich Grundgesetz und
Menschenrechten, das bei Deutschen und Ausländern, bei schon länger
hier lebenden Menschen und bei Neuankömmlingen bestehe, zu
schließen.
Marcel
Wojnarowicz erläuterte niedrigschwellig die Bedeutung des
Grundgesetzes für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und
Rechtsprechung. Er kritisierte die Praxis der Nichtannahmen, die
mangelnde Gleichbehandlung unterschiedlich prominenter Kläger und
die heute noch gesetzlich erlaubte Möglichkeit von
Verfassungsrichtern, einer bezahlten Nebentätigkeit an der Uni
nachzugehen. Außerdem beleuchtete er am Beispiel einer Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts Leipzig zur Steuerung bewaffneter Drohnen
von der US-Luftwaffenbasis in Ramstein aus, dass durch Gerichte die
Voraussetzung der persönlichen Betroffenheit durch die Gerichte
bisweilen zu eng auslegt werde.
In einem
weiteren Vortrag erläuterte Volker Reusing Art. 1 Abs. 2 GG, welcher
eine Verpflichtung auf die universellen Menschenrechte und auf den
Staatsauftrag Friedensgebot enthalte. Den Beweis führte er mittels
der historischen Auslegungsmethode nach anhand der „Stuttgarter
Rede der Hoffnung“ Seiner Exzellenz, des US-Außenministers James
F. Byrnes, vom 06.09.1946, sowie anhand von Reden im
Parlamentarischen Rat von Dr. Adolf Süsterhenn (CDU) und Dr.
Hans-Christoph Seebohm (DP).
Niki
Vogt beschäftigte sich in ihrem Vortrag aus einer
rechtsphilosophischen und historischen Perspektive mit Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit und deren Aushöhlung durch das imperiale
Prinzip. Außerdem beleuchtete sie eine Rede Seiner Exzellenz, des
französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die darin geäußerten
Überlegungen vor allem zur Schaffung einer EU-Armee und zur
Einschränkung der Demokratie würden, wenn die EU es unternehmen
sollte, diese umzusetzen, den Gang nach Karlsruhe erforderlich
machen.
Danach
wurde ein Grußwort des ehemaligen griechischen Botschafters Leonidas
Chrysanthopoulos verlesen, in welchem es u. a. um das Griechenland
auferlegte unmenschliche Spardiktat sowie die Verantwortung auch
Deutschlands incl. des Bundesverfassungsgerichts dafür ging.
In einem
weiteren Vortrag betrachtete Volker Reusing positive Urteile des
Bundesverfassungsgerichts wie das zum Hypothensicherungsgesetz, das
Lissabon-Urteil und das Waldenfels-Urteil. Außerdem beleuchtete er
das Versagen des Gerichts in den Urteilen zum ESM sowie zum
Syrien-Einsatz der Bundeswehr, und verdeutlichte anschaulich deren
Tragweite. Die in den Urteilen zum ESM erfolgte auf die Demokratie
verengte Auslegung der Ewigkeitsgarantie war eine Kampagne
vorausgegangen, welche auf eine Volksabstimmung zur Öffnung der
Ewigkeitsgarantie zielte, ohne dies transparent zu machen –
anknüpfend an das am 19.09.2011 in der Süddeutschen Zeitung
veröffentlichte Interview „Keine EU-Wirtschaftsregierung ohne
Änderung des Grundgesetzes“ mit dem zuständigen Berichterstatter
im Bundesverfassungsgericht, in welchem er laut nachgedacht hat über
eine vollständige oder teilweise Beiseiteschiebung der
Ewigkeitsgarantie mittels einer auf Art. 146 GG gestützten
Volksabstimmung, wozu er in dem Interview selbst gesagt hat, dass es
„in der Sache“ „eine Revolution“ wäre.
Abschließend
sprach Felix Staratschek als Zeitzeuge. Er war im Jahr 2012 unter den
mutigen Bürgern, die durch Schaffung von Transparenz wesentlich mit
dazu beigetragen haben, dass in den Urteilen zum ESM das deutsche
Volk nicht dazu verurteilt worden ist,
über
eine Öffnung der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) abstimmen zu
müssen.
Links:
Aufruf
zur
Kundgebung:https://unser-politikblog.blogspot.com/2018/08/kundgebung-70-jahre-parlamentarischer.html
-Gesetzentwurf:https://sites.google.com/site/buergerrechtemenschenrechte/stoppt-den-grundrechtsboykott
Teil: 1 https://www.youtube.com/watch?v=USZWJgxGDXU&t=107s
Teil: 2 https://www.youtube.com/watch?v=avhi4PvTOaE&t=2s
Teil: 3 https://www.youtube.com/watch?v=oOYDpVgLIgM&t=10s
Teil: 4 https://www.youtube.com/watch?v=G8JisgNl270&t=3s
Teil: 5 https://www.youtube.com/watch?v=vwIUuCnAm6U&t=8s
Teil: 6 https://www.youtube.com/watch?v=qy_x5ZyhYJM&t=4s
Teil: 7 https://www.youtube.com/watch?v=yQ6Xpsx3Tdk&t=15s
Teil: 8 https://www.youtube.com/watch?v=8bndM3GodQI
Teil: 9 https://www.youtube.com/watch?v=MywY8ER3jmc&t=5s
Teil:10 https://www.youtube.com/watch?v=vOHyIVLmGrk&t=41s
Teil:11 https://www.youtube.com/watch?v=5W57EY5SV00&t=2s
Teil:12 https://www.youtube.com/watch?v=cHXRb-ccelY
Teil: 1 https://www.youtube.com/watch?v=USZWJgxGDXU&t=107s
Teil: 2 https://www.youtube.com/watch?v=avhi4PvTOaE&t=2s
Teil: 3 https://www.youtube.com/watch?v=oOYDpVgLIgM&t=10s
Teil: 4 https://www.youtube.com/watch?v=G8JisgNl270&t=3s
Teil: 5 https://www.youtube.com/watch?v=vwIUuCnAm6U&t=8s
Teil: 6 https://www.youtube.com/watch?v=qy_x5ZyhYJM&t=4s
Teil: 7 https://www.youtube.com/watch?v=yQ6Xpsx3Tdk&t=15s
Teil: 8 https://www.youtube.com/watch?v=8bndM3GodQI
Teil: 9 https://www.youtube.com/watch?v=MywY8ER3jmc&t=5s
Teil:10 https://www.youtube.com/watch?v=vOHyIVLmGrk&t=41s
Teil:11 https://www.youtube.com/watch?v=5W57EY5SV00&t=2s
Teil:12 https://www.youtube.com/watch?v=cHXRb-ccelY
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