Bericht zum Democracy Slam und zur
Diskussion mit dem Bundespräsidenten in Bonn vom 31.08.2018 unter
dem Motto „70 Jahre Parlamentarischer Rat – Was hat das mit mir
zu tun?“
Unser Politikblog | 04.09.2018
Am Freitag, den 31.08.2018, fand im
ehemaligen Bonner Plenarsaal des Bundesrats eine Veranstaltung mit
Bundespräsidialamt Frank-Walter Steinmeier und Schülern aus Bonn
und Brühl statt unter dem Motto „70 Jahre Parlamentarischer Rat –
Was hat das mit mir zu tun?“
Anlass war der 70. Jahrestag des
Arbeitsbeginns des Parlamentarischen Rats am 01.09.2018.
Bonn, Außenstelle des Bundestags |
Einführend wurde ein Einblick in die
Geschichte gegeben. Das Grundgesetz ist von den Bundesländern und
vom Parlamentarischen Rat als Provisorium geschaffen worden, weil es
für die Bundesrepublik Deutschland als Ordnung nur für die
westlichen Besatzungszonen erstellt worden ist. Eine Verfassung ist
erst für die Zeit nach der Wiedervereinigung gewollt gewesen.
Inzwischen wird das Grundgesetz nun doch als unsere Verfassung
gesehen. Das Strukturprinzip Föderalismus ist geschaffen worden,
damit die Macht in Deutschland nie wieder in den Händen einer Person
konzentriert sein kann.
In dem Saal, in dem die Veranstaltung
stattgefunden hat, hat bis zum Jahr 2000 der Bundesrat getagt. Im
gleichen Saal fanden auch am 01.09.1948 die Eröffnung des
Parlamentarischen Rats und am 08.05.1949 der Beschluss des
Grundgesetzes statt. Das Haus wurde 1933 errichtet und diente anfangs
der Lehrerausbildung.
Auf dem Weg zum Grundgesetz wurde
bewusst ein Signal für die Einheit der westlichen Besatzungszonen
gesetzt, indem die Rittersturz-Konferenz der Länder in Koblenz
(französische Besatzungszone), der Herrenchiemseer Konvent auf einer
Insel im Chiemsee (amerikanische Besatzungszone) und der
Parlamentarische Rat in Bonn (britische Besatzungszone) tagten.
Der Präsident des Bundesrats wird
immer für 1 Jahr Amtszeit gewählt und muss ein Mitglied einer
Landesregierung sein; meistens ist es der Ministerpräsident des
betreffenden Bundeslandes. Das Präsidium des Bundesrats besteht aus
dem Präsidenten, dem Direktor und dem Schriftführer des Bundesrats.
Die Bundesländer haben im Bundesrat zusammen 69 Stimmen.
Danach folgte die Begrüßungsrede
durch die Direktorin des Bundesrats, Frau Dr. Ute Rettler.
Als nächstes erfolgten die
Danksagungen durch die beiden Moderatoren des Democracy Slams. Dieses
Format ist angelehnt an den Poetry Slam, bei dem die Texte selbst
geschrieben und kurz sein müssen. Die Moderatoren haben 2 Tage lang
mit den Schülern das Grundgesetz untersucht mit den Fragestellungen
„In was für einem Land wollt ihr leben, und in was für einem
nicht?“
Es wurden 5 Teams gebildet, von denen 3
Teams und eine einzelne Rednerin ihre Ergebnisse in Form einer
Mischung aus Lyrik und Prosa vorgetragen haben.
Team 1 ging es um die Freizügigkeit
(Art. 11 Abs. 1 GG), den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) mit
Kritik an der Gehaltsungleichheit, die Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)
und die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Die SchülerInnen
bekundeten ihren Stolz darauf, in einem Land zu leben, in dem ihnen
alle Türen offen stehen.
Team 2 sieht das Grundgesetz auch als
ein „Good Game“ und betonte vor allem die Meinungs-,
Informations- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), findet aber auch
deren Schranken (Art. 5 Abs. 2 GG) grundsätzlich gut sowie die
Freiheit von Kunst und Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG). Der Jugend
sei wichtig, gehört zu werden.
Team 3 betonte die Unterschiedlichkeit
der Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen. Sie betonten
die Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Religionsfreiheit (Art. 4 GG),
die Freiheit von Musik und Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG), das Recht auf
körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) am Beispiel Lärmschutz
zugunsten des Bruders mit einem anderen Musikgeschmack, die
Grundrechte bezüglich des Schulunterrichts (Art. 7 GG), den Schutz
der Familie (Art. 6 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) am Beispiel
von Reisen nach Frankreich und Kroatien, den Staatsauftrag
europäische Integration (Art. 23 GG) und die Völkerfreundschaft
(Art. 9 GG).
Bewegend war der Vortrag der Schülerin
Joscha. Sie hat laut ihrer Rede Behinderungen in Form von Autismus,
motorischen Einschränkungen und Sehbeeinträchtigungen. Sie freut
sich auf eine Kulturveranstaltung im November 2018 in Mannheim. Dies
werde für sie der schönste Tag in diesem Jahr sein. Sie wird dafür
ihre Grundrechte auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), auf
Freizügigkeit (Art. 11 GG) und auf Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG)
in Anspruch nehmen. Die Behinderten sind im Grundgesetz nur in einem
Satz erwähnt, obwohl sie viele sind.
Es folgte eine von Thomas Krüger, dem
Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB),
geleitete Talkrunde mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier,
seiner Frau Elke Büdenbender sowie den Schülern Lara, Paul und
Paul, die alle drei in der Schulkonferenz aktiv sind. Am Saalmikrofon
kamen weitere Schüler zu Wort. Um sie unterscheiden zu können, habe
ich die beiden Schüler mit dem gleichen Vornamen aus Sicht der
Pressetribüne von links nach rechts mit Paul 1 und Paul 2
nummeriert.
Auf die Frage des Moderators, ob die
Politik genug für die Jugendlichen tue, empfahl Paul 2, man solle
ihnen das Wahlrecht geben.
In der Schulkonferenz sind Schüler,
Eltern und Lehrer vertreten, und dem Votum der Schüler werde oft
nicht gefolgt. So haben die Schüler dort für „G 8“ gestimmt,
also dass ihr Gymnasium nur 8 Schuljahre haben solle, die Eltern
haben sich mit ihrer Forderung nach „G 9“ aber durchgesetzt. Der
Bundespräsident erläuterte, er habe die 9 Schuljahre auf dem
Gymnasium gebraucht. Die Verkürzung auf 8 Jahre sei eingeführt
worden, um im Wettbewerb mit Großbritannien und Frankreich
mitzuhalten.
Als wichtigstes Grundrecht des
Grundgesetzes haben die Schüler die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1
GG) genannt. Dabei haben sie vor allem auch an den Schutz der
Privatsphäre gedacht und daran, dass die Würde viel mit den
Menschenrechten zu tun habe. Mit Blick auf die Würde wurde
kritisiert, dass Alleinerziehende oft nicht genug Geld haben, um die
Kinder zum Sport zu schicken, und dass es in Deutschland keine von
der Polizei unabhängige Behörde gebe, bei welcher man sich im Falle
von Polizeigewalt beschweren könne.
Der Bundespräsident betonte, dass das
Grundgesetz die beste Verfassung sei, die auf deutschem Boden je
Gültigkeit erlangt habe. Aber die Demokratie laufe nicht allein
schon durch die Existenz des Grundgesetzes. Demokratie mache Arbeit.
Zu den Ereignissen in Chemnitz sagte
er, der Staat müsse das Recht auch durchsetzen. Er dürfe keine
„anonymen Rächer“ dulden, welche in Konkurrenz zum Staat treten.
Auf seine Frage, ob in der Schule auch
die Pflichten der Bürger unterrichtet werden, entgegnete Paul 1,
dass sie sich im Unterricht zu Kant die Fragen stellen „Was soll
ich tun?“ und „Was darf ich nicht tun?“
Frau Büdenbender fragte, ob der
Politikunterricht aktueller sein sollte.
Paul 2 erläuterte, dass seine Schule
sehr sprachorientiert sei, und Politik dort nur bis zum 9. Schuljahr
unterrichtet werde.
Auf die Frage von Herrn Krüger, ob sie
schon einmal Mobbing erlebt habe, entgegnete Lara, dass ihr dies
bisher weder selbst widerfahren sei, noch sie dies bei anderen
Schülern mitbekommen hätte.
Frau Büdenbender erkundigte sich, wie
sich die Schüler ihre politische Meinung bilden.
Paul 1 vertraut vor allem auf die
Tagesschau und auf persönliche Gespräche und sieht bei sozialen
Medien eher Masseneffekte und wenig Vertrauenswürdigkeit.
Paul 2 erläuterte, dass sich jeder vor
die Kamera stellen und unterschiedliche Positionen darlegen kann.
Der Bundespräsident fragte nach der
Nutzung von Materialien der BPB im Unterricht.
Lara gab an, dass sie in der 9. Klasse
viele Informationsmöglichkeiten gehabt haben. Es sei gut, dass es
die BPB gebe.
Paul 1 erläuterte, dass die Schüler
an seiner Schule an einem Modell-Europaparlament teilnehmen können.
Herr Krüger empfahl das Magazin der
BPB.
Der Bundespräsident warb, das Angebot
der BPB sei sehr modern und auf die Rezeptionsmöglichkeiten von
Jugendlichen zugeschnitten.
Frau Büdenbender erkundigte sich
danach, wie sich die Schüler zu den Wahlen informieren.
Laut einer Antwort vom Saalmikrofon
gibt es an der Schule ein Erstwählerseminar sowie Veranstaltungen
von Parteien, die zur jeweiligen Wahl antreten.
Herr Krüger erkundigte sich nach der
Nutzung des Wahlomats.
Eine Schülerin erläuterte am
Saalmikrofon, der Wahlomat sei ganz gut, empfehle ihr aber oft
Parteien, deren Programme ihr gar nicht gefallen.
Herr Krüger informierte, dass alle
Aussagen der Parteien im Wahlomat von diesen autorisiert seien.
Weitere Antworten am Saalmikrofon
verwiesen hinsichtlich der politischen Bildung der Schule auf
Seminare zu Arbeitslehre und Wirtschaft und auf den
Sozialwissenschaft-Unterricht und darauf, dass viele Gleichaltrige
sich über soziale Medien informieren, auf denen leider von linken
und von rechten Gruppen oft Fakten verdreht seien.
Lara gab an, dass sie sich von sozialen
Medien für weitere Recherchen inspirieren lasse, dann aber auch bei
den Parteien selbst nachlese.
Der Bundespräsident kritisierte, dass
nüchterne Informationen oft zu wenig wahrgenommen werden, wenn sie
nicht mit einem Skandal transportiert werden.
Herr Krüger empfahl das Angebot der
BPB auf Youtube zur letzten Bundestagswahl.
Auf die Frage, wofür diese junge
Generation stehen solle, antwortete der Bundespräsident, sie solle
nicht schmollen und nicht beschimpfen, auch dann nicht, wenn nicht
alle Wünsche erfüllt werden, wenn vielleicht sogar das Grundgesetz
nicht alle Wünsche erfülle. Demokratie lebe davon, dass möglichst
viele Menschen mitmachen. Sie vollziehe sich nicht von selbst. Sie
habe Regeln, und politische Bildung sei nötig. Er habe sich mit
anderen Schülern zusammen für ein Jugendzentrum eingesetzt und nach
3 Jahren Erfolg gehabt. Heute gebe es das Jugendzentrum schon seit 50
Jahren. Wenn man sich für etwas einsetze, sei dies zugleich auch ein
Einsatz für die Demokratie des Grundgesetzes.
Herr Krüger erwähnte die Gender Pay
Gap (geschlechtliche Diskriminierung bei der Bezahlung), und dass
Frauen in Deutschland im Durchschnitt pro Jahr 2 ½ Monate länger
arbeiten müssen, um genauso viel zu verdienen wie Männer.
Lara erläuterte, sie würde das
Problem ansprechen und im Falle eigener Betroffenheit vielleicht vor
Gericht ziehen.
Frau Büdenbender, die von Beruf
Verwaltungsrichterin ist, gab an, sie habe beruflich in ihrer
Generation schon alle Möglichkeiten gehabt, sei nur in der Schule
manchmal diskriminierenden Bemerkungen ausgesetzt gewesen. Die
Frauenquote sei ein Erfolg, auch im Öffentlichen Dienst. Die Gender
Pay Gap gebe es auch dadurch, dass Frauen oft in niedriger bezahlte
soziale Berufe streben. Sie empfahl, dass Frauen sich auch höher
bezahlte Berufe zutrauen sollten. Sie forderte, Elternzeiten
gleichberechtigter zu nutzen, und dass Kinder kein Karrierehindernis
sein dürfen.
Eine Schülerin informierte über das
Saalmikrofon, dass sie an einem Projekt nur für Schülerinnen
teilgenommen habe, ein Radio zu bauen. Sie forderte, dass Männer
sich mehr Zeit nehmen, die Kinder in den Kindergarten zu bringen.
Herr Krüger erläuterte, dass im
Parlamentarischen Rat Dr. Elisabeth Selbert maßgeblich gewesen sei
für die Aufnahme der Gleichberechtigung von Mann und Frau in den
Art. 3 GG. Trotzdem hätten bis in die 1970er Jahre hinein Frauen in
Deutschland ihren Ehemann um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie
arbeiten gehen wollten.
Frau Büdenbender betonte, der Art. 3
GG beinhalte auch die Chancengleichheit für ärmere Menschen incl.
bei der Bildung.
Herr Krüger fragte die Schüler, was
sie im Grundgesetz vermissen.
Lara empfahl, ins Grundgesetze solle
eine stärkere Verpflichtung auf den Umweltschutz aufgenommen werden.
Paul 2 wünscht sich die vollständige
Unantastbarkeit auch für die Würde der Natur und des Lebens.
Paul 1 ist mit dem Grundgesetz
zufrieden. Es entwickle sich dauerhaft.
Der Bundespräsident lobte die vielen
weisen Beiträge. Das Grundgesetz könne nicht alles schon vorgeben.
Sein großer Wert bestehe darin, dass es uns einen Rahmen gebe. Wir
dürfen nie wieder hinter den zivilisatorischen Fortschritt, den das
Grundgesetz darstelle, zurückfallen.
Abschließend gab es ein großes
Erinnerungsfoto der Schüler und Schülerinnen mit dem
Bundespräsidenten und seiner Frau.
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