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Donnerstag, 6. September 2018

Bericht zum Democracy Slam und zur Diskussion mit dem Bundespräsidenten in Bonn


Bericht zum Democracy Slam und zur Diskussion mit dem Bundespräsidenten in Bonn vom 31.08.2018 unter dem Motto „70 Jahre Parlamentarischer Rat – Was hat das mit mir zu tun?“

Unser Politikblog | 04.09.2018

Am Freitag, den 31.08.2018, fand im ehemaligen Bonner Plenarsaal des Bundesrats eine Veranstaltung mit Bundespräsidialamt Frank-Walter Steinmeier und Schülern aus Bonn und Brühl statt unter dem Motto „70 Jahre Parlamentarischer Rat – Was hat das mit mir zu tun?“
Anlass war der 70. Jahrestag des Arbeitsbeginns des Parlamentarischen Rats am 01.09.2018.


Bonn, Außenstelle des Bundestags
Einführend wurde ein Einblick in die Geschichte gegeben. Das Grundgesetz ist von den Bundesländern und vom Parlamentarischen Rat als Provisorium geschaffen worden, weil es für die Bundesrepublik Deutschland als Ordnung nur für die westlichen Besatzungszonen erstellt worden ist. Eine Verfassung ist erst für die Zeit nach der Wiedervereinigung gewollt gewesen. Inzwischen wird das Grundgesetz nun doch als unsere Verfassung gesehen. Das Strukturprinzip Föderalismus ist geschaffen worden, damit die Macht in Deutschland nie wieder in den Händen einer Person konzentriert sein kann.

In dem Saal, in dem die Veranstaltung stattgefunden hat, hat bis zum Jahr 2000 der Bundesrat getagt. Im gleichen Saal fanden auch am 01.09.1948 die Eröffnung des Parlamentarischen Rats und am 08.05.1949 der Beschluss des Grundgesetzes statt. Das Haus wurde 1933 errichtet und diente anfangs der Lehrerausbildung.

Auf dem Weg zum Grundgesetz wurde bewusst ein Signal für die Einheit der westlichen Besatzungszonen gesetzt, indem die Rittersturz-Konferenz der Länder in Koblenz (französische Besatzungszone), der Herrenchiemseer Konvent auf einer Insel im Chiemsee (amerikanische Besatzungszone) und der Parlamentarische Rat in Bonn (britische Besatzungszone) tagten.

Der Präsident des Bundesrats wird immer für 1 Jahr Amtszeit gewählt und muss ein Mitglied einer Landesregierung sein; meistens ist es der Ministerpräsident des betreffenden Bundeslandes. Das Präsidium des Bundesrats besteht aus dem Präsidenten, dem Direktor und dem Schriftführer des Bundesrats. Die Bundesländer haben im Bundesrat zusammen 69 Stimmen.



Danach folgte die Begrüßungsrede durch die Direktorin des Bundesrats, Frau Dr. Ute Rettler.

Als nächstes erfolgten die Danksagungen durch die beiden Moderatoren des Democracy Slams. Dieses Format ist angelehnt an den Poetry Slam, bei dem die Texte selbst geschrieben und kurz sein müssen. Die Moderatoren haben 2 Tage lang mit den Schülern das Grundgesetz untersucht mit den Fragestellungen „In was für einem Land wollt ihr leben, und in was für einem nicht?“
Es wurden 5 Teams gebildet, von denen 3 Teams und eine einzelne Rednerin ihre Ergebnisse in Form einer Mischung aus Lyrik und Prosa vorgetragen haben.

Team 1 ging es um die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG), den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) mit Kritik an der Gehaltsungleichheit, die Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Die SchülerInnen bekundeten ihren Stolz darauf, in einem Land zu leben, in dem ihnen alle Türen offen stehen.

Team 2 sieht das Grundgesetz auch als ein „Good Game“ und betonte vor allem die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), findet aber auch deren Schranken (Art. 5 Abs. 2 GG) grundsätzlich gut sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 GG). Der Jugend sei wichtig, gehört zu werden.

Team 3 betonte die Unterschiedlichkeit der Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen. Sie betonten die Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die Freiheit von Musik und Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG), das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) am Beispiel Lärmschutz zugunsten des Bruders mit einem anderen Musikgeschmack, die Grundrechte bezüglich des Schulunterrichts (Art. 7 GG), den Schutz der Familie (Art. 6 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) am Beispiel von Reisen nach Frankreich und Kroatien, den Staatsauftrag europäische Integration (Art. 23 GG) und die Völkerfreundschaft (Art. 9 GG).

Bewegend war der Vortrag der Schülerin Joscha. Sie hat laut ihrer Rede Behinderungen in Form von Autismus, motorischen Einschränkungen und Sehbeeinträchtigungen. Sie freut sich auf eine Kulturveranstaltung im November 2018 in Mannheim. Dies werde für sie der schönste Tag in diesem Jahr sein. Sie wird dafür ihre Grundrechte auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) und auf Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) in Anspruch nehmen. Die Behinderten sind im Grundgesetz nur in einem Satz erwähnt, obwohl sie viele sind.


Es folgte eine von Thomas Krüger, dem Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB), geleitete Talkrunde mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, seiner Frau Elke Büdenbender sowie den Schülern Lara, Paul und Paul, die alle drei in der Schulkonferenz aktiv sind. Am Saalmikrofon kamen weitere Schüler zu Wort. Um sie unterscheiden zu können, habe ich die beiden Schüler mit dem gleichen Vornamen aus Sicht der Pressetribüne von links nach rechts mit Paul 1 und Paul 2 nummeriert.
Auf die Frage des Moderators, ob die Politik genug für die Jugendlichen tue, empfahl Paul 2, man solle ihnen das Wahlrecht geben.
In der Schulkonferenz sind Schüler, Eltern und Lehrer vertreten, und dem Votum der Schüler werde oft nicht gefolgt. So haben die Schüler dort für „G 8“ gestimmt, also dass ihr Gymnasium nur 8 Schuljahre haben solle, die Eltern haben sich mit ihrer Forderung nach „G 9“ aber durchgesetzt. Der Bundespräsident erläuterte, er habe die 9 Schuljahre auf dem Gymnasium gebraucht. Die Verkürzung auf 8 Jahre sei eingeführt worden, um im Wettbewerb mit Großbritannien und Frankreich mitzuhalten.

Als wichtigstes Grundrecht des Grundgesetzes haben die Schüler die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) genannt. Dabei haben sie vor allem auch an den Schutz der Privatsphäre gedacht und daran, dass die Würde viel mit den Menschenrechten zu tun habe. Mit Blick auf die Würde wurde kritisiert, dass Alleinerziehende oft nicht genug Geld haben, um die Kinder zum Sport zu schicken, und dass es in Deutschland keine von der Polizei unabhängige Behörde gebe, bei welcher man sich im Falle von Polizeigewalt beschweren könne.

Der Bundespräsident betonte, dass das Grundgesetz die beste Verfassung sei, die auf deutschem Boden je Gültigkeit erlangt habe. Aber die Demokratie laufe nicht allein schon durch die Existenz des Grundgesetzes. Demokratie mache Arbeit.
Zu den Ereignissen in Chemnitz sagte er, der Staat müsse das Recht auch durchsetzen. Er dürfe keine „anonymen Rächer“ dulden, welche in Konkurrenz zum Staat treten.
Auf seine Frage, ob in der Schule auch die Pflichten der Bürger unterrichtet werden, entgegnete Paul 1, dass sie sich im Unterricht zu Kant die Fragen stellen „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich nicht tun?“
Frau Büdenbender fragte, ob der Politikunterricht aktueller sein sollte.
Paul 2 erläuterte, dass seine Schule sehr sprachorientiert sei, und Politik dort nur bis zum 9. Schuljahr unterrichtet werde.

Auf die Frage von Herrn Krüger, ob sie schon einmal Mobbing erlebt habe, entgegnete Lara, dass ihr dies bisher weder selbst widerfahren sei, noch sie dies bei anderen Schülern mitbekommen hätte.

Frau Büdenbender erkundigte sich, wie sich die Schüler ihre politische Meinung bilden.
Paul 1 vertraut vor allem auf die Tagesschau und auf persönliche Gespräche und sieht bei sozialen Medien eher Masseneffekte und wenig Vertrauenswürdigkeit.
Paul 2 erläuterte, dass sich jeder vor die Kamera stellen und unterschiedliche Positionen darlegen kann.
Der Bundespräsident fragte nach der Nutzung von Materialien der BPB im Unterricht.
Lara gab an, dass sie in der 9. Klasse viele Informationsmöglichkeiten gehabt haben. Es sei gut, dass es die BPB gebe.
Paul 1 erläuterte, dass die Schüler an seiner Schule an einem Modell-Europaparlament teilnehmen können.
Herr Krüger empfahl das Magazin der BPB.
Der Bundespräsident warb, das Angebot der BPB sei sehr modern und auf die Rezeptionsmöglichkeiten von Jugendlichen zugeschnitten.

Frau Büdenbender erkundigte sich danach, wie sich die Schüler zu den Wahlen informieren.
Laut einer Antwort vom Saalmikrofon gibt es an der Schule ein Erstwählerseminar sowie Veranstaltungen von Parteien, die zur jeweiligen Wahl antreten.
Herr Krüger erkundigte sich nach der Nutzung des Wahlomats.
Eine Schülerin erläuterte am Saalmikrofon, der Wahlomat sei ganz gut, empfehle ihr aber oft Parteien, deren Programme ihr gar nicht gefallen.
Herr Krüger informierte, dass alle Aussagen der Parteien im Wahlomat von diesen autorisiert seien.
Weitere Antworten am Saalmikrofon verwiesen hinsichtlich der politischen Bildung der Schule auf Seminare zu Arbeitslehre und Wirtschaft und auf den Sozialwissenschaft-Unterricht und darauf, dass viele Gleichaltrige sich über soziale Medien informieren, auf denen leider von linken und von rechten Gruppen oft Fakten verdreht seien.
Lara gab an, dass sie sich von sozialen Medien für weitere Recherchen inspirieren lasse, dann aber auch bei den Parteien selbst nachlese.
Der Bundespräsident kritisierte, dass nüchterne Informationen oft zu wenig wahrgenommen werden, wenn sie nicht mit einem Skandal transportiert werden.
Herr Krüger empfahl das Angebot der BPB auf Youtube zur letzten Bundestagswahl.

Auf die Frage, wofür diese junge Generation stehen solle, antwortete der Bundespräsident, sie solle nicht schmollen und nicht beschimpfen, auch dann nicht, wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden, wenn vielleicht sogar das Grundgesetz nicht alle Wünsche erfülle. Demokratie lebe davon, dass möglichst viele Menschen mitmachen. Sie vollziehe sich nicht von selbst. Sie habe Regeln, und politische Bildung sei nötig. Er habe sich mit anderen Schülern zusammen für ein Jugendzentrum eingesetzt und nach 3 Jahren Erfolg gehabt. Heute gebe es das Jugendzentrum schon seit 50 Jahren. Wenn man sich für etwas einsetze, sei dies zugleich auch ein Einsatz für die Demokratie des Grundgesetzes.

Herr Krüger erwähnte die Gender Pay Gap (geschlechtliche Diskriminierung bei der Bezahlung), und dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt pro Jahr 2 ½ Monate länger arbeiten müssen, um genauso viel zu verdienen wie Männer.
Lara erläuterte, sie würde das Problem ansprechen und im Falle eigener Betroffenheit vielleicht vor Gericht ziehen.
Frau Büdenbender, die von Beruf Verwaltungsrichterin ist, gab an, sie habe beruflich in ihrer Generation schon alle Möglichkeiten gehabt, sei nur in der Schule manchmal diskriminierenden Bemerkungen ausgesetzt gewesen. Die Frauenquote sei ein Erfolg, auch im Öffentlichen Dienst. Die Gender Pay Gap gebe es auch dadurch, dass Frauen oft in niedriger bezahlte soziale Berufe streben. Sie empfahl, dass Frauen sich auch höher bezahlte Berufe zutrauen sollten. Sie forderte, Elternzeiten gleichberechtigter zu nutzen, und dass Kinder kein Karrierehindernis sein dürfen.
Eine Schülerin informierte über das Saalmikrofon, dass sie an einem Projekt nur für Schülerinnen teilgenommen habe, ein Radio zu bauen. Sie forderte, dass Männer sich mehr Zeit nehmen, die Kinder in den Kindergarten zu bringen.
Herr Krüger erläuterte, dass im Parlamentarischen Rat Dr. Elisabeth Selbert maßgeblich gewesen sei für die Aufnahme der Gleichberechtigung von Mann und Frau in den Art. 3 GG. Trotzdem hätten bis in die 1970er Jahre hinein Frauen in Deutschland ihren Ehemann um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie arbeiten gehen wollten.
Frau Büdenbender betonte, der Art. 3 GG beinhalte auch die Chancengleichheit für ärmere Menschen incl. bei der Bildung.

Herr Krüger fragte die Schüler, was sie im Grundgesetz vermissen.
Lara empfahl, ins Grundgesetze solle eine stärkere Verpflichtung auf den Umweltschutz aufgenommen werden.
Paul 2 wünscht sich die vollständige Unantastbarkeit auch für die Würde der Natur und des Lebens.
Paul 1 ist mit dem Grundgesetz zufrieden. Es entwickle sich dauerhaft.
Der Bundespräsident lobte die vielen weisen Beiträge. Das Grundgesetz könne nicht alles schon vorgeben. Sein großer Wert bestehe darin, dass es uns einen Rahmen gebe. Wir dürfen nie wieder hinter den zivilisatorischen Fortschritt, den das Grundgesetz darstelle, zurückfallen.

Abschließend gab es ein großes Erinnerungsfoto der Schüler und Schülerinnen mit dem Bundespräsidenten und seiner Frau.

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