Sendereihe: "Macht und Menschenrechte" ( Unser Politikblog TV) November - dann in anderem Format

Donnerstag, 26. Mai 2011

Die Mär von der Euro-Krise

Von Egbert Scheunemann | 25.Mai 2011 Radio Utopie

Notwendige Anmerkungen zu einer kollektiven Wahnvorstellung

Im Mai-Heft der von mir grundsätzlich hoch geschätzten (weil demokratisch, aufklärerisch, sozial, ökologisch und also links orientierten) „Blätter für deutsche und interna-tionale Politik“ steht folgender Satz zu lesen: „Spätestens seit der Schuldenkrise Grie-chenlands und der anschließenden Eurokrise steht das Projekt der Europäischen Union am Scheideweg.“ (1). Weil es so etwas, dies vorab, wie eine Euro-Krise – es sei denn, wie zu zeigen sein wird, als Wahnvorstellung – nicht gibt, stellt sich natürlich die Frage, warum Sätze ähnlichen oder identischen Inhalts reihum und seit langer Zeit ohne Unterlass geäußert werden, und zwar in sämtlichen Medien von weit links bis weit rechts, in der Politik wie auch in der sogenannten Wirtschaftswissenschaft. Kaum jemand, auch nicht im politisch linken Spektrum, stellt Fragen, die sich kritisch Denkenden und ökonomisch halbwegs Informierten eigentlich mit aller Macht aufdrängen sollten.
Um einleitend nur einige wenige zu äußern: Was haben Griechenlands Schulden, also die staatlichen Verbindlichkeiten eines kleinen 12-Millionen-Völkchens (NRW: 17 Millionen), die einen winzigen Bruchteil dessen ausmachen, was täglich auf den internationalen Finanzmärkten umgesetzt wird oder auch nur dem Jahresumsatz einer mittelgroßen Bank entspricht, mit der Währung der zweitgrößten (2) Wirtschaftsmacht der Welt zu tun? (3) Warum sollte aus der Schuldenkrise Griechenlands, das im Übrigen und bislang noch keinen Cent seiner Schulden (die in hohem Maße akkumulierte Zinsen sind, also etwas, was die Griechen davor nie bekommen haben) nicht zurückgezahlt hat und das unter den Rettungs-, besser: Bürgschaftsschirm der größten (4) Wirtschaftsmacht der Welt gestellt wurde, sich eine „anschließende Eurokrise“ ergeben? Und warum sollte mit dieser gar die gesamte Europäische Union infrage oder zumindest an einen „Scheideweg“ gestellt sein?


Falls es auf diese Fragen geben sollte, was es faktisch nicht gibt, nämlich vernünftige Antworten – warum resultiert dann aus der Tatsache, dass, prozentual gemessen, weit mehr Bundesstaaten der USA der Staatspleite weit näher sind als die paar Länder der Euro-Zone, die in diesem Kontext immer genannt werden, keine Dollar-Krise oder gar die Infragestellung der Nordamerikanischen Union insgesamt, auch USA genannt? (5) Und ist der japanische Yen in einer Krise, weil die japanische Schuldenquote, gemessen am japanischen BIP, um inzwischen (und ganz unabhängig von Tsunami, Fukushima & Co.) etwa 80 Prozentpunkte höher liegt als die griechische Staatsschuldenquote, gemessen am griechischen BIP? (6) Und ist dadurch gar Japan als Staatsgebilde infrage gestellt?
Nichts dergleichen wird (vernünftigerweise) vermeldet – und das, obwohl über Japans Wirtschaft keinerlei Rettungsschirm aufgespannt wurde derart, wie die EU einen über die hoch verschuldeten EU-Staaten oder die USA einen über die fast bankrotten US-Bundesstaaten entfaltet haben (von Japans dramatischen Wirtschaftsproblemen infolge der verheerenden Natur- und Nuklearkatastrophen, die über es hineinbrachen, ganz zu schweigen).
Was soll die Euro-Krise denn sein?
Als Antwort auf die Frage, was denn die Euro-Krise sei, auf die hohe Staatsverschuldung einiger Staaten des Euro-Raumes zu verweisen, ist ebenso unsinnig wie eine Dollar-Krise daherzufabulieren aufgrund der großen Zahlungsprobleme vieler US-Bundes-staaten oder eine Yen-Krise aufgrund der – im Vergleich zu den sogenannten PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) – sogar noch weit höheren Staatsschuldenquote Japans (7). Das reihum angeführte Argument, dass ein Totalausfall der griechischen Schuldenrückzahlung eine Kettenreaktion (8), das heißt den Zusammenbruch vieler Banken und eine weitere internationale Finanzmarktkrise hervorrufen würde, wäre maximal ein Argument für das Eintreten eben einer weiteren internationalen Finanzmarktkrise und nicht für eine Krise des Euro oder welcher Währungen auch immer, mithilfe derer diese Krise finanztechnisch abgewickelt werden würde – wie die letzte eben auch schon (9).
Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Totalausfall-Szenarios ist aufgrund des EU-Rettungsschirmes und der existenziellen Eigeninteressen Griechenlands und auch der Gläubiger-Banken, die letztlich Zugeständnisse in Sachen Laufzeiten und Zinsen machen werden, um einen Totalausfall gerade zu verhindern, zudem ähnlich hoch wie die des Einschlags eines Meteoriten der Größe jenes, der die Dinosaurier ausgerottet haben soll. Was eintreten wird, ist ein nicht systemgefährdender Schuldenschnitt (in dem Sinne, dass keine der betroffenen Banken wirklich in Gefahr kommen wird), eine Laufzeitverlängerung vorhandener Kredite und eine Senkung der Zinsen via Umschuldung hin zu zinsgünstigen Krediten der EZB oder anderer EU-Finanzinstitutionen (oder auch des IWF, der Weltbank etc.) – also das allein Vernünftige (davon aber erst später mehr).
Dass Finanzmarktkrisen (und nachfolgende Realwirtschaftskrisen) mit den Währungen, mithilfe derer sie finanztechnisch abgewickelt werden, erst mal nichts zu tun haben, kann man sich ganz schnell klar machen, wenn man das Szenario gedankenexperimentell durchspielt, das viele ‚Experten‘ von pseudolinks bis de facto rechts gegen die griechische Schuldenkrise und die fantasierte Euro-Krise anempfehlen: die Wiedereinführung der Drachme in Griechenland und ihre sofortige drastische Abwertung, damit die griechische Wirtschaft international wettbewerbsfähiger werde. Davon abgesehen, dass eine drastische Abwertung der reanimierten Drachme um beispielsweise 50 Prozent gegenüber dem Euro (und damit auch gegenüber dem Dollar und allen anderen Währungen) eine Verdoppelung der griechischen Staatsschulden bedeuten würde, da diese eben (größtenteils) in Euro oder (kleinen Teils) in Dollar beglichen werden müssen (was die Absurdität der Forderung des Austritts Griechenlands – und gar noch Portugals, Italiens, Irlands oder Spaniens – aus der Euro-Zone drastisch offenbart) – was wäre dadurch gewonnen? Käme es nach Wiedereinführung der Drachme im Falle eines Totalausfalls der griechischen Schulden, der durch deren Verdoppelung und den Wegfall des Euro-Rettungsschirmes für Griechenland zudem viel, viel wahrscheinlicher wäre als derzeit, nicht zu der oben angesprochenen Kettenreaktion? Wenn EU-17-Mitglied Griechenland seine Pleite erklärt, dann gibt’s so irgendwie, echt ey Mann, eine Euro-Krise, wenn diese Pleite aber nach Wiedereinführung der Drachme erklärt wird, dann nicht – obwohl die europäischen Banken, bei denen Griechenland größtenteils verschuldet ist (insofern hat der Euro-Raum übrigens Schulden bei sich selbst – wie Japan größtenteils bei sich selbst Schulden hat), auf genauso viele Euros verzichten müssten im ersten wie im zweiten Fall? Schwachsinn!
Und man bedenke: Wenn die internationale Spekulation sogar die Währung der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt (hinter der, wie gesagt, zudem die größte, die EU-27, stützend steht) in eine Krise manövriert haben soll (das war das reihum zu hörende und lesende Standardargument zu jener Zeit, als (zunächst) die Griechen und (später) alle PIIGS zusammen noch nicht an allem schuld waren) – wie würde die internationale Spekulation wohl mit der Drachme als Währung eines 12-Millionen-Völk-chens umspringen? Wie die Dampfwalze mit einem Wurm.
Was eine Währung stark oder schwach werden lässt
Eine Währung ist grundsätzlich so stark oder schwach wie der Wirtschaftsraum, dessen Zahlungsmittel sie ist – eine halbwegs seriöse, auf Stabilität bedachte Geld- und Währungspolitik vorausgesetzt, also von einer bewusst herbeigeführten Inflation oder gar Hyperinflation (10) (nach dem Muster der Weimarer Republik in den frühen 1920er Jahren, um Kriegskredite und Auslandsschulden zu ‚tilgen‘) mal abgesehen. Mit dem Dollar, dem Euro und dem Yen sind die Währungen jener drei Wirtschaftsräume angesprochen, deren BIP zusammen mehr als die Hälfte des weltweiten BIP ausmacht (11). Nicht umsonst sind speziell die Währungen der beiden mit Abstand größten Wirtschaftsmächte der Welt, der EU-27 (12) und der USA, die beiden Leit- bzw. Reservewährungen der Weltwirtschaft: der Dollar mit 61,4 Prozent und der Euro mit 26,3 Prozent (jeweils im Jahre 2010). Der Rest, inklusive des Yen (3,8 Prozent) oder des Britischen Pfundes (4,0 Prozent), läuft unter ferner liefen (13). Seit der Einführung des Euro ist seine weltwirtschaftliche Relevanz als Leitwährung fast kontinuierlich gestiegen – und spiegelbildlich ist die Relevanz fast aller anderen Währungen, vor allem des Dollars, fast durchgehend gefallen.
Der Kurs des Euro ist nach seiner Einführung (entgegen der Unkenrufe konservativer, DM-nationalistischer Ökonomen) gegenüber sämtlichen Währungen und vor allem gegenüber dem Dollar fast kontinuierlich gestiegen – und wenn nicht, dann nicht aufgrund von Krisen oder Defiziten des EU-17-Realwirtschaftsraumes, dessen Zahlungsmittel er ist, sondern aufgrund externer Einflüsse (drastische Veränderungen der US-amerikanischen Zins- und Währungspolitik, Spekulationsangriffe (14), etc.). Der Euro als Währung der EU-17 und als, wie schon erläutert, De-facto-Währung von noch weit mehr Ländern erfüllt sämtliche der Funktionen mustergültig, die eine Währung zu erfüllen hat (Zahlungs-, Wertaufbewahrungs-, Wertmess- bzw. Recheneinheitsfunktion, freie Konvertibilität etc.). Die Preisentwicklung im Euro-Raum verläuft exakt, ja bilderbuchartig genau so stabil, wie sie von der auf Stabilität verpflichteten, nach dem Vorbild der stabilitätsfanatischen Deutschen Bundesbank aufgebauten Europäischen Zentralbank (EZB) vorausgeplant wurde – mit, im internationalen Vergleich, nahezu lächerlichen Inflationsraten (15). Viele Länder stehen Schlange, um Mitglied der EU und der EWU zu werden, also Teil der größten bzw. zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt – die dadurch nur umso mächtiger werden würden. Und was geschah, als Anfang 2011 die erste Euro-Anleihe auf dem Markt kam?
Folgendes geschah: „Investoren reißen sich um erste Anleihe des Euro-Fonds“ (16). Die Dinger gingen weg wie warme Semmeln! Das war der Realkommentar des Kapitalmarkts zum Geschwätz von der Euro-Krise! Was also, um nochmals nachzufragen, soll denn die Euro-Krise eigentlich sein?
Homogene Wirtschaftsräume als Voraussetzung einer homogenen Währung?
Im Kontext jener Argumentation, die eine Euro-Krise daherschwätzt, wird oft behauptet, dass der Konstruktionsfehler des Euro sei, dass er als gemeinsame Währung über ein realwirtschaftlich hochgradig heterogenes Gebilde geworfen worden sei. Die Unterschiede der Staatsverschuldungsquoten, der Inflationsraten, der Preisentwicklung sämt-licher Produktionsfaktoren (vor allem der Löhne) und damit des Wachstums der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit seien zwischen den Ländern viel zu groß, um unter das Dach einer gemeinsamen Währung gezwängt werden zu können, besser: zu dürfen. Zudem gebe es keine gemeinsame Wirtschaftspolitik der EU-17 Staaten, was die Sache (welche auch immer) nur verschlimmere. Für viele Staaten sei es also weit besser, würden sie den Euro-Raum verlassen und ihre alten Währungen wieder einfüh-ren, um über Abwertungen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen – usw. usf., etc. pp.
Nun, auch diese Argumentation ist zehn Jahre nach Einführung des Euro so unsinnig wie ein paar Jahre davor – und um das aufzuzeigen, kann man den Hinweis auf Ab-wertungswettläufe als Folge der Wiedereinführung eines europäischen Währungsflickenteppichs getrost erst mal beiseitelassen. Vor der Einführung des Euro drehte sich alles um die berühmt-berüchtigten Konvergenzkriterien, also ähnliche Staatsverschuldungsquoten oder Inflationsraten, die alle Euro-Kandidaten erst erfüllen müssten, um die gemeinsame Währung einführen zu können. Um etwas Zeit und Arbeit zu sparen, erlaube ich mir, zu zitieren, was ich diesbezüglich schon 1996 geschrieben habe, zumal es – leider – nichts von seiner Aktualität verloren hat: „Wo ist das Problem? Warum merkt keiner, daß die Einhaltung solcher Konvergenzkriterien – oder welcher auch immer! – als Voraussetzung einer Währungsunion völlig überflüssig ist? Warum sieht keiner, daß es nicht mehrerer Währungen, also qualitativ unterschiedlicher monetärer Aus-drücke bedarf, um unterschiedliche quantitative realwirtschaftliche Verhältnisse (ob nun zwischen einzelnen Betrieben, Regionen oder Ländern, ist völlig gleichgültig) zum Ausdruck zu bringen? Das geht auch mit einer Währung. In der Bundesrepublik beispielsweise herrschen in unterschiedlichsten ökonomischen Einheiten, in Betrieben, Branchen, Regionen oder Ländern, unterschiedlichste ökonomische Verhältnisse. Hier sind die Gewinnraten, die Löhne, die Bodenpreise etc. höher, dort geringer. Hier wird, in einer Währung, mehr bezahlt, dort, in einer Währung, weniger.
Keiner kommt auf die Idee, wegen ökonomisch unterschiedlich starker Betriebe einer Branche oder aufgrund ökonomisch unterschiedlich starker Regionen oder Länder in der BRD verschiedene Währungen einzuführen, um diese unterschiedliche Wirtschaftskraft ökonomisch bzw. monetär ausdrücken zu können. Das geht auch quantitativ mit einer Währung, man benötigt keine unterschiedlichen Währungsqualitäten. Die Wirtschaftskraft dieser ökonomischen Einheiten wird quantitativ anhand bestimmter Kriterien gemessen – Kapitalrentabilität, Lohnstückkosten, absolute und relative Preise der Produktionsfaktoren etc. Diese Kriterien mögen so unterschiedlich sein wie auch immer. Sie können in einer Währung ausgedrückt werden. Gleiches gilt auf europäischer Ebene. In diesem Land sind die Produktionsfaktoren eher teurer, in jenem eher billiger. Man kann das mit zwei Währungen zum Ausdruck bringen (die jeweilige Landeswährung umgerechnet in ECU) oder mit fünfzehn Wäh-rungen (der einzelnen EU-Mitgliedsländer aufeinander bezogen) oder eben mit einer Währung – dem ECU oder dem Euro. Wo ist also das Problem?
Notabene fielen mit einer Währung alle Probleme weg, die heute aus den verschiedenen resultieren: Währungsunsicherheiten für Exporteure/Importeure, Wechselkursüber- und -unterbewertungen, spekulative Devisenflüsse, Umtauschkosten und -lästigkeiten etc. Eine europäische Zentralbank würde im Falle einer EWU allen europäischen Ge-schäftsbanken einen Diskont- bzw. Zinssatz vorschreiben – wie jetzt die deutsche Bundesbank den deutschen Geschäftsbanken. Und diese Geschäftsbanken könnten dann ihren unterschiedlichen Kunden in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Kapitalfinanzierungen anbieten – wie jetzt die verschiedenen deutschen Geschäftsbanken ihren Kunden in den unterschiedlichen deutschen Regionen, Branchen und Betrieben. Auch unerwünschte zinsbedingte Kapitalflüsse wären dann innerhalb der EU obsolet. Nochmals: Wo ist das Problem?
Nun ja, ich habe es einleitend, Tucholsky zitierend, genannt… Nach Tucholsky ist bei jenen, die ob gewisser Dinge nicht ihren Verstand verlieren, zu vermuten, daß sie keinen haben.“ (17)
Die Pro-Kopf-Verschuldung des Bundeslandes Bremen ist etwa zwölfmal größer als die Pro-Kopf-Verschuldung des Bundeslandes Bayern.18 Und die Bodenpreise (als Bei-spiel für eine differente Preisentwicklung eines Produktionsfaktors) haben sich in Bremen völlig anders entwickelt als in München (und in den Zentren dieser Städte wiederum völlig anders als an deren Peripherie). Nach der ‚Logik‘ der Vertreter der These, dass eine gemeinsame Währung nur in hochgradig homogenen Wirtschaftsgebieten eingeführt werden könne, die danach nicht nur, wie die EZB, eine gemeinsame Währungs-, sondern auch eine gemeinsame (und selbstverständlich neoliberal ausgerichtete) Wirtschaftspolitik betreiben müssten, müsste Bremen eigentlich eine eigene Währung einführen! Und wie ist nach dieser ‚Logik‘ zu erklären, dass der Dollar offizielles Zahlungsmittel nicht nur in den USA ist, sondern offizielles bzw. inoffizielles, aber eben faktisches Zahlungsmittel (Parallelwährung) auch in vielen Entwicklungsländern der sogenannten Dritten Welt – ja sogar im realsozialistischen (na ja…) Kuba? Also in Ländern, deren realwirtschaftliche Strukturen unterschiedlicher kaum sein könnten?
Auch die weiter oben (19) schon angesprochenen, teilweise ganz erheblichen Differenzen der Inflationsraten in den Ländern der EU-Zone sind ein Realbeweis dafür, dass solche real-wirtschaftlichen Differenzen eben in einer Währung zum Ausdruck gebracht werden können – man braucht dafür nicht zwei oder 17 oder 27.
Ursachen der Mär von der Euro-Krise
Was sind die Ursachen für die reihum, von pseudolinks bis de facto rechts, daherge-schwätzte These, es gebe so etwas wie eine Euro-Krise? (20) Eigentlich schreit einem der ganze Irrsinn offen ins Gesicht: Die Banken heimsen inzwischen bis zu 25 Prozent Zinsen für Kredite ein, die sie Griechenland geben – deutsche Staatspapiere bringen derzeit hingegen nur Realrenditen von knapp zwei Prozent (21). (Auch das ist übrigens noch mal ein Realbeweis dafür, dass im Rahmen einer gemeinsamen Währung völlig unterschiedliche Wirtschaftsindikatoren völlig problemlos zum Ausdruck gebracht werden können – dass also, in diesem Falle, trotz grundsätzlich gleichem, von der EZB festgesetzten Basiszins von den Geschäftsbanken je nach Kunden völlig unterschiedliche Realzinsen erhoben und realisiert werden können.) Die anderen vier PIIGS-Staaten zahlen nicht ganz so hohe Zinsen wie Griechenland, aber ebenso weit überhöhte. Fast alle diese Staaten haben Sparprogramme der heftigsten und übelsten Sorte aufgelegt bzw. auflegen müssen, um in den ‚Genuss‘ des Einbezugs unter den Euro-Rettungsschirm zu kommen oder diesen ‚Genuss‘ (sprich: das EU-Diktat noch üblerer Sparprogramme) gerade zu vermeiden. Gespart wird natürlich vor allem im sozialen Bereich.
Und nicht nur in den PIIGS-Staaten wird gespart, was das Zeug hält und was der Polizeiknüppel gegen Demonstranten durchsetzen kann. Kaum ein EU-27-Staat hat keine Sparprogramme aufgelegt (22) – gerechtfertigt eben mit der hohen Staatsverschuldung und der Euro-Krise, die deren Folge sei. Zur Rettung des gesamten europäischen Projektes müssten eben Opfer gebracht werden, daran führe kein Weg vorbei.
Muss man also wirklich noch expressis verbis aussprechen, was die Ursache dafür ist, warum die fast in der gesamten westlichen Welt grassierende Staatsschuldenkrise, Resultat der – weltweit – billionenschweren Bankenrettung (die wiederum ‚notwendig‘ war aufgrund der von eben diesen Banken verursachten letzten großen Finanzmarkt-krise) im Euro-Raum (und nicht nur da) und besonders in Deutschland als Euro-Krise umgelogen wird? Dass die Herren der Banken und des Kapitals, deren politisches Personal und deren – des Kapitals wie des politischen Personals – private oder öffentlich-rechtliche Medien das Schreckbild einer Euro-Krise interessengeleitet an die Wand malen, erscheint nachvollziehbar – nur so lassen sich die genannten Sparprogramme durchprügeln und die horrenden Zinsen, die die PIIGS-Staaten und speziell Griechenland zahlen müssen, realisieren.
Analoges gilt für eine der finanztechnischen Schnittstellen zwischen Staat und Kapital, die Deutsche Bundesbank, wie sich erst vor wenigen Tagen wieder offenbarte, als Folgendes gemeldet wurde: „Sparen statt umschulden. Bundesbank-Chef will Griechenland erziehen. Keine Kompromisse: Bundesbank-Chef Jens Weidmann hält nichts von Umschuldungsplänen für Griechenland. Wenn der Staat die Sanierungsauflagen nicht einhalte, müsse er eben die Konsequenzen tragen.“ (23) Denn solche Äußerungen sind entweder dumm – oder schweinisch.
Dumm wären sie, wenn Weidmann wirklich glauben sollte, was er da daherredet. Griechenland erstickt an den ins Absurde gestiegenen Zinsen, die es inzwischen für neue Kredite zahlen muss, um alte ablösen zu können – auf dem freien Kapitalmarkt inzwischen, wie schon gesagt, bis zu 25 Prozent. Was Griechenland, wie auch schon gesagt, ‚zurück‘ bezahlt, sind zwischenzeitlich fast ausschließlich akkumulierte Zinsen, also etwas, was es zuvor nie bekommen hat. Das griechische Volk blutet, um die Raffgier der Banken zu befriedigen. Das sind die einfachen, aber wahren Tatsachen. Schweinisch wäre die Äußerung Weidmanns hingegen, wenn er wüsste, was läuft, aber eine Umschuldung, die völlig unvermeidlich ist (in Form, um es zu wiederholen, eines moderaten Schuldenschnitts, so moderat, dass keine der betroffenen Banken wirklich ins Trudeln käme, und in Form der Ersetzung der verbleibenden laufenden Kredite durch zinsgünstige Kredite mit langen Laufzeiten, gewährt von der EZB oder dem IWF), so lange wie möglich aufschieben möchte, um den für die europäischen Banken (und damit auch für seine) hochprofitablen derzeitigen Zustand solange wie möglich aufrechtzuerhalten.
Kapital, Banken, Staat und die Deutsche Bundesbank als Schnittstelle zwischen Letzterem und Ersteren ziehen also an einem Strang. Alle haben ein In-teresse daran, die zunächst in eine Staatsschuldenkrise verwandelte Banken- und Finanzmarktkrise schließlich in eine Krise des Euro und des gesamten europäischen Pro-jektes umzulügen. Die Banken mit Multimilliarden aus öffentlichen Kassen zu retten – da kam hier und da und selbst in der Bürgerpresse Kritik auf. Aber Europa zu retten – wer würde da nicht Opfer bringen wollen?
Auch von den neoliberal gleichgeschalteten, in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten residierenden und dort hegemonial herrschenden Anhängern der dümmsten Theorie aller Zeiten (jener von der für alle wohltätigen Wirkung möglichst freier Märkte), die fast immer in Tateinheit heimliche bis offene konservative DM-Nostalgiker und -Nationalisten sind, erwartet man nichts anderes, als sich freiwillig und in vorauseilendem Gehorsam vor den Karren des Kapitals zu spannen. Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben erst vor ein paar Tagen gefordert, das Renteneintrittsalter auf 69 Jahre zu erhöhen – mit der Begründung, das sei „nötig, um die Staatsschulden in Schach zu halten“ (24). Unter dem Deckmantel vermeintlich wertfreier Wissenschaft wird hier also bewusst etwas als „nötig“ dahergelogen, was de facto so nötig ist wie ein Kopfschuss.
Dass man die Staatsschulden auch durch die Einführung einer deutlich spürbaren Kapitalumsatzsteuer (Tobinsteuer), eine kräftige Erhöhung der Einkommenssteuer für das obere Einkommensdrittel sowie eine kräftige Erhöhung der Erbschafts- und Vermögenssteuer bekämpfen könnte (und auch die Einführung eines Mindestlohnes würde die Staatseinnahmen in Deutschland erhöhen), womit gleichzeitig Multimilliarden von den schon wieder sich aufblähenden internationalen Finanzmärkten weg- und zur Realökonomie hingeleitet werden würden – diese wahren Sätze zu äußern, kommt moralisch und intellektuell zutiefst degenerierten, da neoliberal gleichgeschalteten ‚Wirtschaftsexperten‘ natürlich nicht in den Sinn. Das arbeitende Volk soll zwei Jahre länger arbeiten und seine Gesundheit ruinieren, damit die Kapitalmarktzocker weiter raffen können wie gewohnt – denn keine andere Ursache hat die dramatisch gestiegene Staatsverschuldung als die durch multimilliardenschwere Staatsinterventionen eben erst halbwegs überstandene Banken- und Kapitalmarktkrise.
Warum schwätzt die Linke – größtenteils – mit?
Was ist aber der Grund, warum man auch aus dem linken politischen Spektrum kaum Widerspruch hört oder liest gegen die Mär von der Euro-Krise? Nun, ich kann nur eine Vermutung äußern. Womöglich wird hier das ganz zu unrecht als in der Krise befindlich titulierte Euro-Kind mit dem ganz zu recht als neoliberal verseucht diagnostizierten Badewasser, angerührt von der ganz zu recht als neoliberal gleichgeschaltet kritisierten EU-Kommission, gleich mit ausgeschüttet. Im Zuge der völlig berechtigten Kritik an der neoliberalen Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU (speziell infolge der Umsetzung der sogenannten Lissabon-Strategie, 25) wird das Geschwätz von der Krise, in der sich der Euro befinde, dankbar aufgenommen als vermeintlich weiterer Beleg für die Berechtigung des in der Linken weitverbreiteten Ressentiments gegen den gesamten europäischen Einigungsprozess, der quasi nur als Vorstufe des weltweiten Sieges kapitalistischer Globalisierung wahrgenommen und kritisiert wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass die politische Linke sich vom politischen Gegner die Themen vorschreiben lässt und auf dessen Ablenkungsmanöver hereinfällt.
Man denke nur an jene pseudolinken Krisengroßtheoretiker zurück, die uns jahrelang einbläuten, dass im Zuge der Globalisierung des Kapitals jede keynesianistisch inspirierte nationale Wirtschaftspolitik völlig nutzlos und Schnee von gestern sei, ja von vorvorgestern, nämlich aus den 1970er Jahren, und man, als Linker, nur auf den großen weltweiten ökonomischen Kladderadatsch des Kapitalismus hoffen und hinarbeiten könne, auf dass danach die große internationale sozialistische Revolution ausbreche und das große Menschheitsglück beginne – um mit diesem Unsinn exakt, wenn auch mit völlig anderem Ziel, den analogen Unsinn der Vertreter des Kapitals und des Neoliberalismus zu wiederholen (26), die die ökonomische Globalisierung als unvermeidlich daherlogen (There Is No Alternativ), um ihr neoliberales Projekt der Schleifung des Sozialstaates, der Steigerung der Profite und der Erlangung des unumkehrbaren weltweiten Sieges eines weitestgehend deregulierten Kapitalismus zu verschleiern.
Bevor ich abschließend darauf eingehe, wie man die staatliche Verschuldung (und damit die vermeintliche Euro-Krise) quasi ‚mit links‘ (und nur so!) beliebig herunter-fahren kann ganz ohne Sparpakete, die immer nur die Kleinen treffen, möchte ich kurz auf eine weitere Mär eingehen, der die politische Linke gerade auf den Leim zu gehen droht. Bei dieser Mär geht es um ein Thema, das mit der (vermeintlichen) Euro-Krise ganz und gar nichts zu tun haben scheint. Es zeigt aber sehr schön auf, dass die Massenverblödung im Dienste des Kapitals, der immer wieder auch die politische Linke erliegt, nach dem immer gleichen Muster abläuft.
Die nächste Mär also, mit der sich die politische Linke – und insbesondere ihre Fraktion der sogenannten Antiimperialisten (aber die lässt sich so und so jeden Schwachsinn erzählen) – gerade aufs Glatteis führen lässt, ist die von der Bedrohung des Euro-Raumes, der EU-27 und der ganzen westlichen Welt durch Chinas rasend schnell wachsende Wirtschaftsmacht. Auch in diesem Fall glaubt die große Majorität der politischen Linken jeden kontrafaktischen Mist, der ihr und der gesamten Bevölkerung der gesamten kapitalistischen Welt, wiederum von höchst interessierter Seite, aufgetischt wird: Chinas Wirtschaft und seine (auch militärische) Macht wachse bedrohlich, es kaufe die internationalen Rohstoffmärkte leer und sei der neue Herr in Afrika und überhaupt in der gesamten sogenannten Dritten Welt, es sei der neue Exportweltmeister und neue Hegemon im Osten, vor dem Japan (auch ohne Tsunami, Fukushima & Co.) und alle anderen regionalen Wirtschaftsmächte (Südkorea, Singapur, Taiwan etc.) nur so mit den Zähnen klapperten. Strategische, also auch militärische Bündnisse gegen Chinas wachsende Macht müssten geschlossen werden, geopolitische Konflikte drohten, die Handelswege müssten auch militärisch gesichert werden – und das alles erfordere eben wieder Opfer, die westlichen Staaten müssten ihre Ressourcen umlenken weg vom unproduktiven Bereich der Konsumtion (sprich: der Sozialausgaben) und hin zu den Investitionen (sprich: der Subventionierung des Kapitals und speziell des militärisch-industriellen Komplexes MIK), um die Wirtschaft zu stärken in ihrer Abwehrschlacht gegen den chinesischen Koloss.
Um es vorweg und in aller Kürze zu sagen: China ist, die Realität zur Kenntnis genommen, ein wirtschaftlicher Wurm: Im Jahr 2010 betrug das chinesische Pro-Kopf-BIP 6.567 US-Dollar – das Pro-Kopf-BIP beispielsweise Deutschlands aber 40.875 US-Dollar. Selbst wenn Chinas Pro-Kopf-BIP in den nächsten langen Jahren weiterhin mit beispielsweise 8 Prozent pro Jahr wachsen sollte – es bräuchte fast 24 Jahre, um das derzeitige Pro-Kopf-BIP Deutschlands auch nur einzuholen! In dieser Zeit wird letzteres, selbst wenn man nur ein sehr moderates Wachstum von 1,5 Prozent pro Jahr an-setzt, aber schon wieder auf 58.215,05 US-Dollar angestiegen sein! Klingt das nicht höllisch bedrohlich? Diese wenigen Infos aber nur vorab. Ich werde auf die Mär von der Bedrohung der EU und der gesamten westlichen Ökonomien durch Chinas Wirt-schaftsmacht in einem nachfolgenden Artikel gesondert und etwas detaillierter eingehen.
Sinnvolle Maßnahmen gegen die Verschuldungskrise Griechenlands, des Euro-Raums, in der gesamten EU-27 und in der ganzen Welt
Es gibt viele Ursachen, warum sich Griechenland in eine Schuldenfalle hineinmanövriert hat – und seit geraumer Zeit von der EU hineinmanövriert wird. In einer solchen Schuldenfalle steckt man spätestens dann, wenn die zu zahlenden Zinsen schneller wachsen als das, was man bislang an Zins- und Schuldentilgung aufzubringen in der Lage war. Ab diesem Zeitpunkt zahlt man nichts mehr zurück – man zahlt nur noch. Die Schulden wachsen dennoch, eben in Form akkumulierter Zinseszinsen. Bei 25 Prozent Zins verdoppeln sich die Schulden in nur 3,1 Jahren! Wer dann von seinen Gläubigern neue Kredite bekommt, um die alten abzulösen – der bekommt quasi sein eigenes Geld als Kredit zurück, das er unmittelbar davor in Form von Zinsen bezahlt hat! Und wenn dann noch die Wirtschaftsbasis und damit die Steuerbasis wegbricht – wie in Griechenland infolge der von der EU aufgeherrschten Sparmaßnahmen der Fall –, ist die Lage endgültig aussichtslos. Kommt es dann zu keiner Umschuldung und Entschuldung, sei es in Form eines Bankrotts oder einer vernünftigen Regulierung, wachsen die Schulden theoretisch ins Unendliche.
Die vielen Ursachen für Griechenlands (und der anderen PIIGS-Staaten27) Schul-denmisere (von denen durchaus einige selbstverschuldet sind) wurden in den Medien hoch und runter dekliniert und sollen hier nicht wiederholt werden. Was in den Medien hingegen kaum oder nie gesagt wurde und wird, ist, dass Griechenland seine Schulden in einem gewissen Sinne nur aus genau einem Grund hat – weil es von zinsgierigen Banken und Anlegern, die wussten, was sie taten und mit wem sie es zu tun hatten, entsprechende Kredite bekommen hat, auch dann noch, als schon in sämtlichen Gazetten zu lesen war, dass es massiv überschuldet sei. Und bekommen hat es diese Kredite natürlich, weil es dafür inzwischen, wie schon mehrfach angesprochen, astronomische Zinsen bezahlen muss.
Es erscheint also völlig legitim, wenn Kreditgeber, die Kredite aus dem Kapital geben, das sie davor in Form von Zinsen bekommen haben (sodass sich aus Sicht des Schuldners gezahlte Zinsen in neue Schulden verwandeln), auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Und ohne einen Schuldenschnitt wird es nicht gehen, um Griechenland aus der Schuldenfalle herauszuziehen. Selbst dann, wenn Griechenland seinen Staatsbankrott erklären würde (wozu ich übrigens dringend rate!), müssten daraus in keiner Weise irgendeine Kettenreaktion und eine nachfolgende neue internationale Finanzmarktkrise resultieren.
Was passieren würde? Bitteschön: „Nichts! Oder besser: nur Positives! Nach dem zu erwartenden üblichen Aufschrei der üblichen dementen Verdächtigen aus Politik, Medien und sogenannter Wirtschaftswissenschaft – dass nun natürlich, wenn nicht gleich die ganze Welt untergehen, so doch die Weltwirtschaft zusammenbrechen werde –, würde man sich zusammensetzen, Griechenland einen Berg an Schulden erlassen und die verbleibenden Schulden vernünftig umgruppieren und verzinsen. Es würde genau das eintreten, was eintrat, als Mexiko (28) oder Argentinien (29) Mitte der 1990er Jahre bzw. Anfang der 2000er Jahre einfach ihre Zahlungen einstellten und sich dem mörderischen Druck der internationalen Finanzmärkte einfach nicht mehr beugten: „Argentinien hat 2002 rund 70 Prozent der Schulden gestrichen.“ (30)
Was folgte? Folgte eine Weltwirtschaftskrise oder auch nur eine Lateinamerikakrise? Nichts dergleichen! Es folgte der wirtschaftliche Wiederaufstieg Argentiniens und des gesamten Subkontinents! (31)
In einem zweiten Schritt müssten Griechenlands verbleibende Schulden (nochmals: Griechenland steht hier nur Pars pro Toto, also als Stellvertreter sämtlicher verschuldeter EU-Staaten), die es bei Privatbanken auf dem freien Kapitalmarkt hat, peu à peu umgeschichtet werden hin zu zinsgünstigen Krediten der EZB oder anderer EU- oder internationaler Finanzorganisationen. Was nottut (und zum Glück teilweise auch schon so läuft, 32), ist also die Entkoppelung der Staatsfinanzierung von den allein profitorientierten, privat organisierten internationalen Finanzmärkten (als Gesamt aller Privatbanken, privaten Finanzinstitute und Börsen) und dem Terror der Ratingagenturen.
WENN eine solche Finanzierung der Staatskredite der EU-Schuldnerstaaten (und tendenziell aller EU-Staaten) durch die EZB (oder durch analoge Institute in den und für die USA – oder wo auch immer) IM RAHMEN einer ALLEIN von der EZB bestimmten streng stabilitätsorientierten Geldpolitik verläuft, ist jeder staatsinduzierten Inflation der Riegel vorgeschoben – dies prophylaktisch gegen das Standardargument gegen zentralbankfinanzierte Staatskredite. Und um es gleich hinzuzufügen: WENN (und damit sei’s der Hervorhebungen genug) die EZB in diesem Rahmen einer streng stabilitätsorientierten Geldpolitik zukünftig neues (also zusätzliches) Geld nicht mehr in Form von Krediten an die Geschäftsbanken, sondern einfach durch entsprechende Überweisungen an den Staat schöpfen würde – es wäre ein Segen für die Realwirtschaft und das beste Gegengift gegen die sich immer wieder zyklisch aufblähenden Kreditfinanzblasen auf den in-ternationalen Finanzmärkten.
Was schließlich notwendig ist, ist die massive Stärkung der Steuerbasis aller EU-Staaten (und der Staaten weltweit) im Sinne einer Umlenkung von Geldern von den internationalen Finanzmärkten in die Realökonomien: durch Einführung einer saftigen Kapitalumsatzsteuer (Tobinsteuer), eine kräftige Erhöhung der Einkommenssteuer für das obere Einkommensdrittel, eine kräftige Erhöhung der Vermögens- und Erbschaftssteuer (letztere ist besonders wichtig, weil damit sehr viel Geldvermögen – privat gehaltene Aktien, Staatsanleihen, Kommunalobligationen etc. – von der Finanz- in die Realwirtschaftssphäre transferiert werden würde) und etwa auch (im Falle Deutschlands) durch Einführung eines möglichst hohen Mindestlohnes. (33)
Ebenso dumm wie, moralisch betrachtet, säuisch wäre es hingegen, die Sache so laufen zu lassen, wie sie derzeit läuft: mit Sparprogramm über Sparprogramm die Ökonomien der PIIGS-Staaten kaputt zu sparen (und damit in erheblichem Maße die in Wechselwirkung stehenden Ökonomien der gesamten EU) und die Menschen dieser Länder und besonders Griechenlands bluten zu lassen, um die Profitgier privater Banken zu befriedigen.
Erfordert eine gemeinsame Währung und Währungspolitik eine gemeinsame Wirtschaftspolitik? Keinesfalls!
Nach dem bislang Gesagten sollte eigentlich klar sein, dass eine gemeinsame Wirtschaftspolitik im Kontext einer gemeinsamen Währung und Währungspolitik (durchgeführt durch die EZB) völlig überflüssig ist – ja schädlich und schlichtweg eine Katastrophe, wenn es eine neoliberale wäre. Notabene: Es gibt viele vernünftige Gründe, eine sinnvolle gemeinsame Wirtschaftspolitik zu betreiben – eine, die auf sozial gerechtes, ökologisch nachhaltiges qualitatives Wachstum ausgerichtet ist. Wenn in dieser Hinsicht alle EU-Staaten an einem Strang ziehen würden, wäre in Sachen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit auch weltweit (Stichwort: Vorbildcharakter) viel gewonnen. Aber um eine gemeinsame Währung stabil zu halten, ist eine solche gemeinsame Wirtschaftspolitik in keiner Weise notwendig – dazu reicht eine zentral durchgeführte Geld- und Währungspolitik. Im Rahmen einer gemeinsamen stabilen Währung kann jedes Land selbst entscheiden, welche wirtschaftspolitischen Prioritäten es setzen will. Gehen die in eine ähnliche Richtung – gut. Wenn nicht – auch gut.
Griechenland oder Deutschland oder Dänemark ist eine gemeinsame Wirtschaftspolitik sowenig vorzuschreiben wie Bremen oder Bayern, dem Saarland oder Sachsen. Im Sinne einer erstrebenswerten Basisdemokratie sollen die mal schön selber entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen wollen.
Original Artikel erschienen auf Egbert-Scheunemann.de
(…)
Fußnoten:
(1) Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2011, S. 45. Es handelt sich um den ersten Satz des redaktionellen Vorspanns zu einem Interview mit Jürgen Habermas, Joschka Fischer, Henrik Ender-lein (Ökonom, EU-Spezialist) und Christian Calliess (Jurist bzw. Staatsrechtler, EU-Spezialist).
(2) Das betrifft die siebzehn Länder der Euro-Zone (EU-17). Die gesamte Europäische Union (EU-27) ist sogar die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht der Welt. Viele Länder der EU-27, die nicht zur EU-17 gehören, und auch andere weltweit haben ihre Währungen zudem über feste Wechselkurse an den Euro gebunden, sodass der Wirtschaftsraum, in dem faktisch mit Euro oder seinen Derivaten bezahlt wird, noch weit größer ist. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Euroraum#Wirtschaft_der_Eurozone
Anmerkung zu den Quellenangaben: Wegen ihrer leichten Verfügbarkeit und weitgehenden Bekanntheit zitiere ich hier und im Folgenden primär (also nicht ausschließlich) Wikipedia-Artikel als Quellen-Angaben – aber nur dann, wenn diese durch offizielle Statistiken quasi amtlicher Organisationen (Statistisches Bundesamt der BRD, OECD, Eurostat etc.) gut belegt sind.

(3) Dass Griechenlands Schulden vor etwas mehr als einem Jahr auch gleich noch für heftige Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten gesorgt haben sollen, vgl. zu diesem horrenden Unsinn: http://www.egbert-scheunemann.de/Griechenland-und-Euro-Krisenmythos-Scheunemann.pdf
(4) Hinter diesem Rettungsschirm stehen wiederum die Staaten der EU-27. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Stabilisierungsmechanismus
(5 ) Zur Verschuldung der USA und ihrer Bundesstaaten vgl. Michael R. Krätke: Vereinigte Pleitestaaten von Amerika, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2011, S. 99 ff. Der Artikel ist sehr informativ und mit Daten nur so gespickt.
(6) Vgl. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/fields/2186.html u. http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverschuldung#Staatsverschuldung_im_internationalen_Vergleich
(7) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsschulden#Staatsverschuldung_im_internationalen_Vergleich
(8) Vgl. etwa www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,757898,00.html
(9) Zur letzten großen Finanzmarktkrise vgl.:
www.egbert-scheunemann.de/Realsatire-internationale-Fianzmarktkrise-Scheunemann.pdf
www.egbert-scheunemann.de/Rein-in-die-Krise-raus-aus-der-Krise-Scheunemann.pdf

(10) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Hyperinflation
(11) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt
(12) Hier steht EU-27 und nicht EU-17, weil, wie schon weiter oben angemerkt (Fußnote 4), die EU-27 mit ihrer geballten Wirtschaftsmacht den Euro-Rettungsschirm aufgespannt hat. Und allein dies zählt im obigen Argumentationskontext. Zudem ist der faktische Geltungsraum des Euro, wie ebenso schon angemerkt (Fußnote 2), erheblich größer als der offizielle.
(13) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Leitw%C3%A4hrung#Reservew.C3.A4hrung. Die Sonderstellung des Britischen Pfundes, das eine Realökonomie repräsentiert, die weit weniger bedeutend ist als die Japans (oder Chinas), hat historische (British Empire) und finanztechnische Ursachen (Finanzplatz London).
(14) Die Kurseinbrüche gegenüber dem Dollar im Gefolge der Finanzmarktkrise und der Spekulationsan-griffe 2008 ff. haben das Niveau des Euro-Kurses Ende 2005 zu keiner Zeit erreicht – nur da sprach kein Schwein von einer Euro-Krise. Vgl. zur Kursentwicklung z. B. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:EurUsd.png&filetimestamp=20110310215311
15 Vgl. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/2-16052011-BP/DE/2-16052011-BP-DE.PDF
Dass einzelne Länder vom EU-17-Inflationsratendurchschnitt teilweise erheblich abweichen, darauf komme ich gleich noch zurück.

(16) Vgl. www.tagesschau.de; 26. Januar 2011.
(17) Egbert Scheunemann: Neulich im Irrenhaus. Neue Folge, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/1996, S. 918 u. 917.
(18) Vgl. www.brandeins.de/online-extras/hintergrund/pro-kopf-verschuldung-der-bundeslaender.html
(19) Vgl. Fußnote 15.
(20) Als wohltuende Ausnahme vgl. Michael R. Krätke: Etikettenschwindel Euro-Krise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 2/2011, S. 5 ff.
(21) Vgl. www.heute.de/ZDFheute/inhalt/2/0,3672,8235426,00.html
(22) Was diesbezüglich in Großbritannien unter der Ägide der neuen konservativ-liberalen Regierung ab-läuft, kann man eigentlich nur noch als Amoklauf bezeichnen. Vgl. etwa Michael R. Krätke: Thatchers Enkel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 12/2010, S. 12 ff., oder www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~E05950B4C8D3640618D9C4C396A09E0D3~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(23) www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,763960,00.html; 20. Mai 2011.
(24) Vgl. www.tagesschau.de; 19. Mai 2011.
(25) Man kann diese Strategie quasi als EU-Variante der Schröderschen Agenda 2010 betrachten, deren zentrales Ziel sich in vier Worten zusammenfassen ließ: Gewinne hoch, Sozialleistungen runter. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Lissabon-Strategie
(26) Vgl. hierzu etwas detaillierter: www.egbert-scheunemann.de/Wir-Mitlaeufer-Scheunemann.pdf
(27) Griechenland steht auch im Folgenden und es stand auch im Vorangehenden immer nur stellvertretend für alle anderen PIIGS-Staaten.
(28) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Tequila-Krise
(29) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Argentinien-Krise
(30) Lucas Zeise: „Ende der deutschen Schulweisheit. Die Euro-Zone orientiert sich bei der Rettung ihrer Währung an der französischen Lösung – ‚Madame Non’ Merkel bleibt nur die ideologische Kapitulation. Dennoch wird sich ein Schuldenschnitt nicht vermeiden lassen“, in: Financial Times Deutsch-land vom 11. Mai 2010. Der „Spiegel“ berichtet in seiner Ausgabe vom 10. Mai 2010 (S. 18-23) unter anderem, dass selbst Bundesfinanzminister Schäuble inzwischen öffentlich über die Möglichkeiten eines geordneten Staatsbankrotts nachdenkt – natürlich mit Blick primär auf Griechenland.
(31) Vgl. www.egbert-scheunemann.de/Griechenland-und-Euro-Krisenmythos-Scheunemann.pdf, S. 7.
(32) Vgl. z. B. www.welt.de/finanzen/article7562075/EZB-knickt-ein-und-druckt-Geld-gegen-die-Krise.html


(33) „Laut Prognos-Institut würde ein Mindestlohn von 8,50 Euro für rund fünf Millionen Arbeitnehmer eine Gehaltserhöhung bedeuten – und dem Staat dadurch Mehreinnahmen von mehr als sieben Milliarden Euro bescheren.“ www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,759637,00.html; 29. April 2011.

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