Sendereihe: "Macht und Menschenrechte" ( Unser Politikblog TV) November - dann in anderem Format

Freitag, 12. November 2010

Historischer überparteilicher Vorstoss gegen Genitalverstümmelungen in Kinderspitälern in der Schweiz


Sarah Luzia Hassel-Reusing 12.November 2010 | Unser Politikblog
von Daniela Truffer (Schweiz)

Medienpräsenz an der Mahnwache vom 2.2.2009 Genf: UNO mahnt Bundesregierung (Deutschland) (Bild: Ärger Quellen:blog.zwischengeschlecht.info)

"Gott hat uns dieses Kind geschenkt, so wie es ist. Wir nehmen es dankbar an und lieben es. Es ist gesund und fröhlich und entwickelt sich prächtig." (Eine Mutter)

Das gab es auf der ganzen Welt noch nie: Auf Initiative einer christlichen Parlamentarierin und Mutter unterzeichnet ein Viertel eines gesamten Parlaments, darunter zwei Drittel Frauen, quer durch alle Parteien einen politischen Vorstoss, der Transparenz über kosmetische Genitaloperationen an Kindern in ihrem Einflussbereich verlangt und die Regierung zur Stellungnahme auffordert!

>>> Vorstoss im Wortlaut als PDF

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org ist zutiefst gerührt und möchte sich bei Erna Müller-Kleeb (CVP) und allen Mitunterzeichnenden von ganzem Herzen bedanken! Dies ist ein historischer Tag für alle von kosmetischen Zwangsoperationen Betroffenen oder Bedrohten - und für alle, die sie in ihrem Kampf um körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung unterstützen!

Kontakte für Hintergrundinformationen:

Erna Müller-Kleeb, Luzerner Kantonsrätin (CVP, Rickenbach)


Daniela Truffer, als Kind genital zwangsoperiert, Präsidentin
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse(at)zwischengeschlecht.info
Telefon: 076 398 06 50


Unkontrollierte Menschenversuche ohne medizinische Notwendigkeit

Kosmetische Genitaloperationen an Kindern mit "auffälligen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen sind massive Menschenrechtsverletzungen. Sie sind medizinisch nicht notwendig, verstossen gegen die Bundesverfassung (Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit) und verletzen die höchstpersönlichen Rechte der Kinder. Eltern haben deshalb kein Recht, im Namen ihrer Kinder in eine kosmetische Genitaloperation einzuwilligen.

Da die Wirksamkeit dieser Eingriffe nie klinisch getestet wurde und auch die in der Medizin sonst üblichen Nachkontrollen bisher stets unterbleiben, handelt es sich um unkontrollierte Menschenversuche.

Auch nach medizinethischen Grundsätzen und Richtlinien sind kosmetische Genitaloperationen an Kindern klar unzulässig. Jahrzehnte lange Klagen der Opfer über massive physische und psychische Schäden werden durch namhafte Studien bekräftigt. 2009 kritisierte erstmals der UN-Ausschuss CEDAW die Zwangsoperationen. Auch namhafte Menschenrechtsorganisationen kommen zum Schluss:

"Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstösst. Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden. Die Folgen von chirurgischen und medikamentösen Eingriffen werden von den Betroffenen oft als Verstümmelungen wahrgenommen." (Aus der Begründung einer 2010 einstimmig überwiesenen Motion von Amnesty Schweiz)


Verhängnisvoller Druck auf die Eltern zu irreversiblen OPs

Trotzdem wird von Ärzten in der Schweiz auf Eltern Druck gemacht zu einem möglichst raschen Entscheid - obwohl kein medizinischer Notfall vorliegt, die Operationen irreversibel sind und es für die betroffenen Kinder um eine existenzielle Frage geht.

"Wir Eltern wurden von den Ärzten massiv unter Druck gesetzt, das Kind geschlechtsbestimmend operieren zu lassen, obwohl es vollkommen gesund war und keine Beschwerden hatte. Nicht zu operieren, wäre für das Kind ein gesellschaftliches Desaster, lautete die Begründung. Die Rede war zuerst von einem Mädchen. 'Aber wir machen auch einen Bub, wenn Sie das lieber wollen', bot uns die Ärztin an." (Eine Mutter)

Allein in der Schweiz wird etwa jede Woche ein weiteres Kind irreversibel verstümmelt - auch in Luzern.

Viele Eltern, die sich von den Ärzten überrumpeln liessen, bereuen dies später und beklagen sich darüber, dass sie nicht umfassend informiert wurden, und dass ihnen keine oder wenig Unterstützung für alternative Überlegungen geboten wurden, insbesondere Hinweise auf Kontaktmöglichkeiten zu Betroffenen und Selbsthilfegruppen.

In der Aus- und Fortbildung von medizinischem Personal und Hebammen sind die Existenz zwischengeschlechtlicher Menschen und die ethischen Probleme mit der jetzigen Behandlung ebenfalls (noch) kein Thema.

Diskussion über gesetzliches Verbot notwendig

Seit 20 Jahren klagen Betroffene den Ärzten und der Öffentlichkeit ihr Leid. Trotzdem operieren die Mediziner stur weiter - sicher im Wissen, dass sie wegen der Verjährungsfristen und der Traumatisierung der Opfer juristisch kaum belangt werden können.

Während Genitalverstümmelungen in Afrika verurteilt und juristisch bekämpft werden, sind die Genitalverstümmelungen in Kinderspitälern vor der eigenen Haustüre nach wie vor kein Thema.

Was 99% dieser Kinder erleben mussten, ist verwandt mit sexuellem Missbrauch, ist verwandt mit Folter, ist verwandt mit Mädchenbeschneidungen in Afrika, ist verwandt mit den medizinischen Experimenten, wie sie im 2. Weltkrieg in KZ's durchgeführt wurden.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und "Menschenrechte auch für Zwitter!". Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50

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