27.10.2014 | Unser
Politikblog
Der souveräne
Staatsbankrott
Ein Staatsbankrott liegt
vor, wenn ein Staat offiziell einräumt, nicht mehr alle Gläubiger
pünktlich bezahlen zu können. In der Menschheitsgeschichte hat es
Hunderte Staatsbankrotte gegeben. Normal ist, dass der betroffene
Schuldnerstaat dann selbst über seine teilweise Schuldenreduzierung
im Sinne eines fairen Ausgleichs zwischen Einwohnern und Gläubigern
entscheidet.
So hat das
Waldenfels-Urteil vom 23.05.1962 (1 BvR 987/58, BVerfGE 15,126) über
den westdeutschen Staatsbankrott nach dem Zweiten Weltkrieg
entschieden, dass Staaten konkursunfähig sind (Rn. 62). Der Grund
für die Konkursunfähigkeit von Staaten liegt darin, dass im
Vordergrund „die Schaffung einer Grundlage für die Zukunft“
steht und nicht „die Abrechnung über die Vergangenheit“; dieses
„Prinzip der Sanierung findet sich allenthalben in der Geschichte
des Staatsbankrotts und ist unvermeidlich, weil gesunde staatliche
Finanzen die erste Voraussetzung für die Entwicklung des sozialen
und politischen Lebens sind“.
Auch Argentinien und
Russland haben ihre jüngsten Staatsbankrotte souverän bewältigt.
Sie haben es gut
gemeint.
Sogenannte „Geier-Fonds“
haben argentinische Staatsanleihen deutlich unter Nennwert erworben
und erfolgreich (aus Sicht des US-Zivilrechts) vor US-Gerichten
geltend gemacht, nicht an die Vereinbarungen zur Schuldenreduzierung,
welche Argentinien mit der Mehrzahl seiner privaten Gläubiger
getroffen hatte, gebunden zu sein. Die Vereinbarung mit der Mehrzahl
der privaten Gläubiger enthält allerdings die sogenannte
„Rufo-Klausel“, nach welcher Argentinien seine damaligen privaten
Gläubiger alle gleich behandeln muss, und welche noch bis Ende 2014
gilt. Wenn sie nun, den Urteilen auf Grundlage des US-Zivilrechts
folgend, den „Geier-Fonds“ eine höhere Quote geben würden, dann
würden die alten Schulden in voller Höhe gegenüber den privaten
Gläubigern wieder aufleben, und Argentinien wäre schon wieder
bankrott.
Daher der verständliche
Wunsch von zahlreichen Staaten, darunter von Argentinien, Bolivien und
Jamaika, die Gleichbehandlung aller privaten Gläubiger festzulegen,
damit „Geier-Fonds“ für sich keine Sonderkonditionen mehr
erstreiten können. Dafür verlegt man nun auf Grundlage eines neuen
argentinischen Gesetzes das Girokonto, über welches die Zahlungen an
die privaten Gläubiger laufen, von den USA nach Argentinien. Der
nächste sinnvolle Schritt wäre gewesen, dem US-Zivilrecht nun die
in Argentinien geltenden Grund- und Menschenrechte entgegenzuhalten,
die alle höherrangig sind als das Zivilrecht und diesem daher
Grenzen setzen.
Stattdessen hat man am
09.09.2014 beschlossen, ein Staateninsolvenzverfahren zu schaffen.
Das globale
Staateninsolvenzverfahren
Am 09.09.2014 hat
die Uno-Vollversammlung eine von Bolivien am 28.08.2014 eingebrachte
Resolution (Az. A/68/L.57/Rev.1) beschlossen mit 124 Ja-Stimmen, 11
Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen, welche noch innerhalb der
gegenwärtigen UN-Sitzungsperiode die Schaffung eines
völkerrechtlichen Vertrags für ein Staateninsolvenzverfahren für
die Entwicklungsländer fordert (Nr. 5 der Resolution).
Nr. 4 der Resolution
ermutigt die Uno, sich weiterhin für nachhaltige Entwicklung
(„sustainable development“) einzusetzen, und ermutigt IWF und
Weltbank („the international financial institutions“), sich
weiterhin für eine dauerhafte Lösung der Schulden der
Entwicklungsländer einzusetzen, und zwar jeder im Rahmen seines
Mandats.
Das heißt, um die
„nachhaltige Entwicklung“ (Gleichgewicht zwischen
Wirtschaftswachstum, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz) soll
sich danach die Uno kümmern und um die Schulden IWF und Weltbank. Wo
käme man denn da hin als IWF oder Weltbank, wenn die Uno das
Schuldenproblem dauerhaft am Maßstab der universellen Menschenrechte
lösen würde?
Nr. 3 der Resolution
lädt IWF und Weltbank („the Bretton Woods institutions“) und den
Privatsektor ein, mit angemessene Maßnahmen und Aktionen zu
unternehmen für die Umsetzung der Verpflichtungen, Vereinbarungen
und Entscheidungen der größeren UN-Gipfel, vor allem solcher, die
sich beziehen auf die Schuldentragfähigkeit („debt
sustainability“) der Entwicklungsländer. Die Resolution spielt mit
dem Wort „sustainable“. Die Herzen der Regierungsvertreter der
ärmeren Länder gewinnt man mit dem Bekenntnis zur nachhaltigen
Entwicklung („sustainable development“), und IWF, Weltbank und
Privatsektor lässt man sich Maßnahmen und Aktionen zur
Schuldentragfähigkeit („debt sustainability“) kümmern.
Was der IWF unter
„debt sustainability“ versteht, hat der ehemalige Unabhängige
Experte der Uno zu Finanzkrise und Menschenrechten, Prof. Dr. Cephas
Lumina, in Nr. 39 seines Berichts vom 07.03.2014 zu Griechenland
(A/HRC/25/50/Add.1)
verdeutlicht:
„From
a human rights viewpoint, the IMF debt sustainability assessment has
limitations. It is too narrowly focused on debt repayment capacity.
As the Independent Expert has stressed on previous occasions, debt
sustainability analyses should include an evaluation of the level of
debt that a country can carry without undermining its capacity to
fulfill its human rights obligations.“
(„Von
einem menschenrechtlichen Standpunkt, ist die
Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF eingeschränkt. Sie ist zu eng
fokussiert auf die Schuldenrückzahlungsfähigkeit. Wie der
Unabhängige Experte bei früheren Gelegenheiten betont hat, sollten
Schuldentragfähigkeitsanalysen eine Einschätzung des Schuldenstands
beinhalten, welchen ein Land tragen kann, ohne seine Fähigkeit zur
Erfüllung seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen zu
unterminieren.“)
Die
Einladung durch Nr. 3 der Resolution vom 09.09.2014 auch an den
Privatsektor zu den „Maßnahmen“ und „Aktionen“ erinnert an
die rechtsgrundlagenlose (willkürliche) Praxis des IWF, private
Banken zu den vom IWF entworfenen Auflagen noch weitere hinzufügen
zu lassen („Wiener Initiative“) und an das Gerede in Europa vor
Einführung des ESM, in dessen Staateninsolvenzverfahren die
Versammlung der privaten Gläubiger dann offiziell den
Schuldnerstaaten Auflagen machen darf.
Die
Menschenrechte werden in der ganzen Resolution nicht ein einziges Mal
explizit erwähnt, nur einmal implizit im letzten Erwägungsgrund als
Teil der Ziele („purposes“, siehe Art. 1 Nr. 3 Uno-Charta) der
Vereinten Nationen.
Das
ist bemerkenswert für eine von Bolivien eingebrachte Resolution.
Bolivien hat sich erst im Jahr 2008 eine neue Verfassung mit mehr
sozialen Grundrechten gegeben, auch um seinen sozialen Aufschwung auf
eine Grundlage mit Verfassungsrang zu stellen. Und dann geht von
Bolivien eine Resolution aus, die ein Staateninsolvenzverfahren mit
einer starken Stellung von IWF, Weltbank und privaten Gläubigern
will, und bei der die Menschenrechte unter ferner liefen sind. Das
widerspricht bereits offensichtlich Art. 28 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte (AEMR), welche alle Staaten unterzeichnen, wenn
sie Uno- Mitglied werden, und wonach alle Menschen ein Recht haben
auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die
universellen Menschenrechte voll verwirklicht werden können.
Und dabei hat der
Präsident Boliviens, welches die Resolution am 28.08.2014
eingebracht hat, laut dem Amerika21 – Arikel „Evo Morales: IWF
soll Völker entschädigen“ vom 16.02.2014 noch gefordert gehabt,
über Schadensersatz des IWF gegenüber den Schuldnerländern
nachzudenken. Dem läuft die von Bolivien eingebrachte und am
09.09.2014
beschlossene
Resolution aber vollkommen entgegen. Es wirkt so, als hätte
Boliviens Präsident, vielleicht aus einem Gefühl von Zeitmangel,
den Resolutionsentwurf nicht hinreichend kontrolliert, bevor er
eingebracht worden ist.
Der fünftletzte
Erwägungsgrund ganz unten auf de dritten Seite der Resolution stellt
besorgt fest, dass das internationale Finanzsystem („the
international financial system“) kein solides Rahmenwerk habe für
die ordnungsgemäße und vorhersagbare Umstrukturierung von
Staatsschulden. Das muss sich auf der Zunge zergehen lassen. Hier
möchte man also etwas haben, was es noch nicht gibt, und zwar für
das internationale Finanzsystem, also etwas, was vor allem den
international tätigen Banken nutzen soll, nicht den verschuldeten
Staaten und schon gar nicht deren Einwohnern. Zugunsten der
international tätigen Banken soll Vorhersagbarkeit und
Ordnungsmäßigkeit geschaffen werden. „Vorhersagbarkeit“ könnte
dabei auch in dem Sinne interpretiert werden, die Regeln des
internationalen Staateninsolvenzverfahrens auch insoweit
uneingeschränkt anzuwenden, wie diesem gegenüber Grundrechte und
Menschenrechte, weil sie rechtlich höherrangig sind, Grenzen setzen
setzen, also im Staateninsolvenzverfahren ohne Rücksicht auf
Grundrechte und Menschenrechte zu agieren, weil mit deren Anwendung
die Verpflichtung zur Festlegung eines fairen Kompromisses zwischen
Gläubigern und Einwohnern an ihrem Maßstab vorhersagbar wäre, die
Vorhersagbarkeit für einzelne Gläubigergruppen, was für sie dabei
herauskommt, aber dadurch umso geringer.
Das Rahmenwerk
bezieht sich offensichtlich auf den völkerrechtlichen Vertrag für
ein Staateninsolvenzverfahren, den zu schaffen die Resolution vom
09.09.2014 ja gerade den Auftrag gegeben hat. Und das Rahmenwerk (der
völkerrechtliche Vertrag) für das internationale
Staateninsolvenzverfahren soll dann also so beschaffen sein, dass die
Kosten der „non-compliance“ weiter erhöht werden („further
increases“). Das dürfte sich vor allem beziehen auf die sozialen
und menschlichen Kosten der Einwohner der Schuldnerländer, soweit
jeweils nicht alle Auflagen aus dem Staateninsolvenzverfahren erfüllt
werden. Die „weitere Erhöhung“ dürfte gemeint sein im Vergleich
zu den Folgen, die es heutzutage hat, wenn ein Staat seine Auflagen
beim IWF nicht vollständig erfüllt. Es könnte sich außerdem
beziehen auf die Privatisierung von Daseinsvorsorge und hoheitlichen
Einrichtungen bei Nicht-Erfüllung von Auflagen aus dem
Staateninsolvenzverfahren. Die „weitere“ Erhöhung zeigt, dass es
solche Kosten der „non-compliance“ heute schon gibt, und dass
diese auch vor der Resolution vom 09.09.2014 schon einmal erhöht
worden sind. Auf die „Geierfonds“ kann sich dieser Erwägungsgrund
kaum beziehen, denn im Vergleich zur Situation der Einwohner der
Schuldnerländer ernst zu nehmende Kosten einer „non-compliance“
gibt es für diese heute nicht.
Hinsichtlich der
„Geierfonds“, die man nun zum Anlass des Vorstoßes für ein
internationales Staateninsolvenzverfahren genommen hat, will man
natürlich, dass diese für sich keine Bevorzugung im Vergleich zu
anderen privaten Gläubigern der Staaten mehr einklagen können
(Erwägungsgrund in der Mitte der dritten Seite der Resolution). Dazu
haben Weltbank und IWF offenbar bereits einiges ausgearbeitet, wie
der gleiche Erwägungsgrund der Resolution vom 09.09.2014 erkennen
lässt.
Ein Erwägungsgrund
weiter unten erinnert an die vom IWF mit Unterstützung des
internationalen Währungs- und Finanzausschusses (welcher
Organisation ?) in 2003 ausgeführten Arbeiten zur Erstellung eines
Vorschlags für ein internationales Staateninsolvenzverfahren.
Die Resolution vom
09.09.2014 ist nicht nur eines der wichtigsten Dokumente für die
Einschätzung, was für einen Entwurf eines
Staateninsolvenzverfahrens man noch in dieser UN-Sitzungsperiode
präsentieren wird. Sie hat darüber hinaus auch eine entscheidende
rechtliche Bedeutung. Bei völkerrechtlichen Verträgen gilt, wie man
das von einfachen Gesetzen her auch kennt, grundsätzlich, dass
Vorschriften im Zweifel wörtlich auszulegen sind. Daneben gibt es
gem. Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) u. a. auch die
„historische“ Auslegung, also dass man sich anschaut, was in den
wichtigsten Dokumenten auf dem Weg zur Entstehung des jeweiligen
völkerrechtlichen Vertrags steht. Die Resolution vom 09.09.2014
würde erhebliche Auswirkung auf die Auslegung des Vertrags über das
internationale Staateninsolvenzverfahren haben, da genau diese
Resolution den Auftrag dazu gegeben hat.
Das Papier „A
New Approach to Sovereign Debt Restructuring“ der damaligen ersten
stellvertretenden geschäftsführen-den IWF-Direktorin Anne Krueger
aus April 2002 wollte ein Staateninsolvenzverfahren zur
Gleichbehandlung der Gläubiger untereinander mit vom IWF zu
ernennenden Insolvenzrichtern. Die Menschenrechte der Bevölkerung
der Schuldnerländer sind dabei nicht im Blick.
Der Verband
Erlassjahr will in seinem FTAP-Modell für ein weltweites
Staateninsolvenzverfahren mit drei Schlichtern pro Staat – ohne
verbindliche Verpflichtung der Schlichter auf die im jeweiligen
Schuldnerland geltenden Grund- und Menschenrechte. Wie will
Erlassjahr ohne eine solche Bindung an die Menschenrechte die nach
eigener Aussage angestrebte Sicherung der Existenzmittel von Staaten
und die Erfüllung der Uno-Milleniumsziele erreichen?